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In Berlin wird morgen das 30. Theatertreffen deutschsprachiger Bühnen eröffnet. Von Sparmaßnahmen bedroht, mit Ausgewogenheit gegeißelt, hat man im Jubiläumsjahr dennoch keine Zeit für Bilanzen. Aus Berlin Klaudia Brunst

Alles unter einem Dach

„Ich möchte jetzt zu keinen Klageliedern anheben“, ließ Ulrich Eckhardt, Leiter des Berliner Theatertreffens, die Presseöffentlichkeit in der vergangenen Woche wissen. „Aber die Gelderkürzungen müssen im kommenden Jahr natürlich zurückgenommen werden.“ Auch das renommierte Theatertreffen ist dieser Tage von drastischen Sparmaßnahmen im Kulturbereich bedroht. Angesichts der akuten Geldnot denkt man in der verarmten Bonner und Berliner Finanzbürokratie heute laut darüber nach, ob es das vor dreißig Jahren initiierte Berliner Theatertreffen in dieser Größenordnung überhaupt noch geben kann: Insgesamt 1,8 Millionen Mark Bundeszuschüsse, also fast zehn Prozent des Gesamthaushaltes, fehlen der Festspiele GmbH in diesem Jahr. Und da die Festspiele von Bund und Land paritätisch gefördert werden, ist an diese Streichung zudem noch eine Kürzung aus den Haushaltsmitteln des Berliner Senats in gleicher Höhe gekoppelt.

Und so wird das diesjährige Programm für den Festivalleiter Eckhardt unerwartet zur Nagelprobe. Die zwölf „bemerkenswertesten Inszenierungen der vergangenen zwölf Monate“ soll die Kritikerjury laut Satzung alljährlich nach Berlin holen. Unzählige Inszenierungen hat sie sich angeschaut, hat sich mehrfach getroffen, kontrovers diskutiert – und sich dann doch für einen Festivalfahrplan entschieden, der vor allem bemerkenswert ausgewogen ist.

Da gibt es von allem etwas: Thomas Langhoffs Hofmannsthal-Bearbeitung „Der Turm“ für Freunde des guten Geschmacks, Frank Castorfs „King Lear“ für Liebhaber des drastischen Bühnenerlebnisses. Dann natürlich Einar Schleefs „Wessis in Weimar“ – damit niemand sagen kann, man habe sich vor dem Theaterskandal der Saison gedrückt. Und Christoph Marthalers „Murx den Europäer, murx ihn ...“– ein Titel, der sich von selbst als progressiv versteht. Sie alle, auch Andrea Breth mit ihrer Antrittsinszenierung als Hausherrin der Schaubühne, „Letzten Sommer in Tschullmsk“, reisen von Berlin nach Berlin. Das macht das Festival in diesem Jahr so schön kostengünstig und stärkt zudem den Theater(treffen)standort Berlin.

Die fünf aus der restlichen Republik eingeladenen Inszenierungen bilden für die Berliner Prachtschau den angemessenen Rahmen: Aus Bremen reist Johann Kresnik mit „Wendewut“ an die Spree. Auch dürfen sich fünf junge Talente, die entdeckt zu haben das Festivalbüro sich besonders freut, einmal zu den Großen gesellen. Konstanze Lauterbach besetzt mit ihrer Leipziger Inszenierung von Mark Galesniks „Die Besessene“ gleich zwei Proporzstellen: Talent und Osten. Hans-Ulrich Becker dagegen rehabilitiert die West- Provinz mit „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ (Stadttheater Heidelberg). Der Noch-Regierungssitz Bonn ist durch Valentin Jekers „Woyzeck“ angemessen vertreten. Und Leander Haußmann ist überhaupt das Paradepferd des Theatertreffens: Vor zwei Jahren erstmals von Weimar nach Berlin geladen, wurde er so einem größeren Publikum bekannt gemacht; er durfte im vergangenen Jahr im Bayerischen Staatsschauspiel München „Romeo und Julia“ inszenieren und, wieder in Weimar, den „Sommernachtstraum“. Da sage noch einer, das Theatertreffen mache keine Stars. Es hat sich bei Haußmann für sein Talent nun mit einer Doppeleinladung revanchiert. Das Theatertreffen als Königsmacher: quod erat demonstrandum.

In die politisch brisante Anfangszeit des Theatertreffens – drei Jahre zuvor hatte SED-Chef Walter Ulbricht eine Mauer um (West- )Berlin gezogen, die Insulaner waren plötzlich auf zureisendes Theater angewiesen – fiel auch ein bedeutender Generationswechsel unter den Theaterschaffenden: Die alten Stars, die Strouxs und Schallas, wurden von jüngeren Protagonisten abgelöst. Peter Zadek und Peter Stein, Hans Neuenfels oder Peter Palitzsch standen für das neue, das Regietheater. Letztlich machte, so will die nicht zu widerlegende Legende, auch das Berliner Theatertreffen die neuen Aspiranten groß. Das Festival als Transmissionsriemen. Andere, wie Roberto Ciulli und seine Arbeit am Theater Mülheim an der Ruhr, wurden jedoch von der wechselnden Jury Jahr für Jahr übersehen. Die Erfolge stellten sich trotzdem ein.

Aber die wütenden jungen Männer wurden älter und beherrschten nun ihrerseits die Theaterlandschaft: Peter Zadek und Peter Stein gastierten bereits 17mal in Berlin, Claus Peymann zeigte 15 Inszenierungen, Luc Bondy brachte es immerhin auf zehn. Jetzt endlich treten an ihre Stelle wieder jüngere Talente, nun auch aus dem Osten. „Wachablösung“, freut sich Ulrich Eckhardt über die überfällige Erneuerung auch seines Spielplanes.

Und ausgerechnet jetzt, wo das Theatertreffen in den Augen seiner Organisatoren wieder größere Bedeutung erlangen könnte, soll so drastisch gespart werden? In diesem Jahr ist der Berliner Fiskus kurzfristig in die Bresche gesprungen, damit das 30. Theatertreffen überhaupt stattfinden kann. Die berlinlastige Entscheidung der Jury läßt die Kosten 1993 auf die verhältnismäßig günstige Summe von drei Millionen Mark schrumpfen. Das konnte man sich gerade noch leisten. Einen warmen Geldregen für das nächste Jahr wollte aber niemand den Festivalmachern versprechen.

Da kam am Mittwoch, in letzter Minute, die rettende Nachricht aus Bonn: Aufgrund der kulturpolitischen Bedeutung in der föderalistisch-zersplitterten Theaterlandschaft Deutschlands hält man am Rhein das Berliner Theatertreffen nun doch für „unbedingt erhaltenswert“. Die Berliner Festspiele können sich also im kommenden Jahr wieder am Subventionstrog des Bundes und des Landes Berlin nähren.

Der Frage von finanziellem Aufwand und kulturpolitischem Nutzen des Theatertreffens wird Ulrich Eckhardt künftig trotzdem nicht entgehen. Die Republik ist größer geworden, wo die Jury 1991 noch mit 127 begutachteten Aufführungen hinkam, sind es in diesem Jahr 250. Das Ansinnen, aus diesem Angebot nur ein Dutzend „bemerkenswerte Inszenierungen“ herauszufiltern, wird immer fragwürdiger. An eine Ausweitung der Leistungsschau kann aber aus finanziellen Gründen nicht gedacht werden.

Konzeptionelles Umdenken wäre angesagt. Schon in diesem Jahr lähmte ein heftiger Streit die Auswahlkommission: Man wollte Frank Castorfs gesamtes Wirken an seiner Berliner Volksbühne würdigen – immerhin hatte der Hausherr mit vielen ungewöhnlichen Maßnahmen neue, junge Besucher ins Theater gelockt. Aber man fand kein geeignetes Mittel, diese Leistung angemessen abzubilden. Nun steht Christoph Marthalers Volksbühnen-Inszenierung allein für das Ganze; zusammen mit der Einladung an den Intendanten Castorf ist die Volksbühne jetzt zudem im regulären Festspielprogramm unangemessen überrepräsentiert.

Der fehlende Mut der Jury zu wirklich radikalen Entscheidungen – eine solche hätte ein Sonderprogramm der Volksbühne sein können – ist bei der satzungsmäßigen Beschränkung auf das diffus „Bemerkenswerte“ zwar erklärlich, er macht das Festival aber von Jahr zu Jahr unattraktiver. Nur in der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten ist man vom Theaterfest der planbaren Superlative immer noch restlos überzeugt: „Das Berliner Theatertreffen ist doch der Supermarkt des deutschen Theaters!“ kommentiert Rainer Klemke, Pressesprecher des Kultursenators, das siechende Festival. Recht hat er. Das Berliner Theatertreffen ist wie Karstadt: für jeden etwas, regensicher, und alles unter einem Dach.

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