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Im Grenzland

Das Koltèstheater im Tränenpalast wird mit „Kampf des Negers und der Hunde“ von Bernard-Marie Koltès eröffnet  ■ Von Anja Poschen

Nach zehn Jahren intensivster Reisen durch Südamerika, Afrika oder in die Sowjetunion hatte Koltès keine Lust mehr auf die Rolle des ewigen Touristen und ließ sich wieder fest in Paris nieder. Er hatte viel gesehen (und bestimmt nicht die feinen Bars und Luxusrestaurants) und die Erfahrungen in seinen Roman und seine Theaterstücke einbezogen.

Trotz unterschiedlicher Ausgangssituationen und Grundvorraussetzungen für die Figuren in Koltès' Stücken haben sie doch alle eines gemeinsam: Sie sind die Underdogs der Gesellschaft, die Ausgestoßenen, die Verlierer. Ihr letztes Mittel ist die Gewalt, aber Koltès zeigt seine Protagonisten, ohne in ein klar definiertes „Gut-Böse“- Schema abzurutschen. Seine sprachgewaltige Zärtlichkeit gehört den Schwachen, ohne dabei moralisch zu werden.

Das genau war es, was Regisseur Gert Hof an Koltès' Stücken fasziniert hat. Als er vor einigen Jahren erstmals über einen Artikel in Theater heute mit Koltès in Berührung kam, ließ er sich von dem mit ihm befreundeten Alexander Lang gleich das Stück „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ schicken. Aber Hofs erste Versuche, Koltès in der DDR und speziell an der Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz zu inszenieren, schlugen fehl: Zu sehr griffen die Stücke Tabuthemen der damaligen DDR-Gesellschaft auf. Bis heute hat Gert Hof vier Stücke von Koltès inszeniert, davon zwei – „Die Nacht kurz vor den Wäldern“ und „Quai West“ – schließlich doch an der Volksbühne.

Koltès, der 1989 an Aids gestorben ist, wäre in diesem Jahr 45 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß gründete der mittlerweile freischaffende Regisseur Hof gemeinsam mit seiner Frau das „Koltèstheater“. Mit einer Trilogie bisher in Deutschland nicht aufgeführter Stücke des Autors (darunter auch eine Welturaufführung) beginnt nun der Spielplan des neuen, lose gefügten Ensembles. Der „Kampf des Negers und der Hunde“ von 1979 wird am kommenden Donnerstag um 21 Uhr im Tränenpalast Premiere haben. Eigentlich sollte sie bereits im April stattfinden, aber Hauptdarsteller Ulrich Thein leidet an einer chronischen Wirbelsäulenerkrankung und mußte kurzfristig umbesetzt werden. Seine Rolle übernimmt nun Peter Bause vom Berliner Ensemble. Neben ihm spielen Lusako Karonga, Hannelore Koch und Florian Martens. Mit letzteren hatte Hof bereits bei den Volksbühnen-Inszenierungen erfolgreich zusammengearbeitet.

„Kampf des Negers und der Hunde“ beschreibt eine Situation irgendwo in Afrika. Ein schwarzer Arbeiter ist ermordet worden, und sein Bruder fährt in das Lager, um die Leiche zurück ins heimatliche Dorf zu holen. Der Mörder versucht, seine Tat zu verbergen und den Toten zu verstecken. Parallel zu dieser Geschichte läßt Koltès den Bruder auf eine weiße Frau treffen – seltsame Annäherung.

Für Gert Hof ist das Koltèssche Afrika eine Metapher für „überall, ein Grenzland zwischen Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung“. Eine Wartehalle, ein Niemandsland der Ausgegrenzten. „Die Maßlosigkeit ihrer Sehnsucht nach Liebe erhält die Figuren am Leben“, weiß er, „sie läßt aus Opfern Täter werden.“ Die Geschichte entstehe aus der „Schizophrenie unserer Zeit, ihre Tränen sind durch unser Lachen, ihr Scheitern ist durch unsere Arroganz ausgelöst“. Die alptraumhaften Situationen, denen der Autor uns aussetzt, finden keine Lösung. Koltès ist ein konsequenter Wahrheitssucher, der keine normal-gültigen Maßstäbe setzt, sondern aufzeigt, wie Gewalt aus Ohnmacht entsteht.

In diesen Zeiten, in denen Deutschland wieder stark geworden ist, in der ausländerfeindliches Verhalten und Gewalt fast zur Tagesordnung gehören, will Gert Hof mit „Kampf des Negers und der Hunde“ sein Publikum verletzen und verletzbar machen, will vor allem die erreichen, die das Thema betrifft: die Jungen durch die Musik von Ulrike Haage und Katharina Franck von den Rainbirds, die „zivilisierten“ Älteren durch die differenzierte Sprache des Bernard-Marie Koltès.

Subventionen gab es nicht für die Trilogie, aber neben den Musikerinnen, die für dieses Projekt unentgeltlich spielen, haben auch die Licht- und Tontechnikfirmen ihre Instrumentarien für diese Aufführungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Tränenpalast als historischer Ort von Grenzüberschreitungen ist mit Bedacht gewählt: Neben der inhaltlichen Symbolik komme er den Besonderheiten der Koltèsschen Sprache sehr entgegen, meint Gerd Hof. Auf die übliche Distanz von Bühne und Zuschauer verzichtet er ganz, nur das Licht gestaltet die Bühne, von innen und von außen durch die großen Glasfronten eingesetzt; ein Bühnenbild im üblichen Sinne würde womöglich die Konzentration auf das Wesentliche stören. Die Basis für das Spiel der Darsteller soll ein nachvollziehbarer Realismus sein, durchbrochen von ein paar surrealen Elementen, um einen Dialog zu zeigen, der „keiner ist“, oder – mit Koltès' Worten – um „von den Leuten zu sprechen, die sich gegenseitig hassen. Für die anderen ist sowieso alles in Ordnung, und das interessiert mich nicht.“

Premiere: 6.Mai, 21 Uhr im Tränenpalast, Friedrichstraße, Mitte.

Weitere Vorstellungen: 9. bis 12. Mai, jeweils 21 Uhr.

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