: Ein Mann mit großem Mut
■ betr.: "Die Gedenktafel am Falschen Haus", taz vom 21.4.93
betr.: „Die Gedenktafel am falschen Haus“, taz vom 21.4.93
Ich begrüße den Artikel von Frau Kugler insofern, als damit eine üble Provinzposse aufgedeckt wird. Als Historiker empfinde ich es als eine Irreführung der Öffentlichkeit, wenn Gedenktafeln an falschen Häusern angebracht werden. Im Artikel wird erwähnt, daß „nach Rücksprache mit der Jüdischen Gemeinde“ entschieden wurde, die Tafel am falschen Haus anzubringen. Nun, die Jüdische Gemeinde, das sind etliche tausend Menschen, die natürlich nicht gefragt worden sind. Eine Person wurde gefragt, und das ist der seit dem 1. Januar dieses Jahres das neue Amt des Generalsekretärs innehabende Andreas Nachama. Niemand anders. Dieser Mann ist Historiker, was meines Erachtens zur historischen Genauigkeit verpflichtet. Der Rat des Herrn Dr. Nachama, das Nachbarhaus zu nehmen, war ein falscher und wissenschaftlich nicht vertretbarer Rat. Nur schade, daß der Neuköllner Bürgermeister das nicht erkannt hatte. Politisch vernünftiger wäre es gewesen, wenn es eine Veranstaltung vor dem richtigen Geburtshaus ohne Tafelanbringung gegeben hätte. Sicher hätten auch die Angehörigen, die aus aller Welt angereist kamen, einen solchen Weg unterstützt, anstatt mit einem faulen Kompromiß konfrontiert zu werden. Auch wenn bei den Reden auf das „Ersatz- Haus“ verwiesen wurde, der Bürgermeister wird nicht für den Rest seiner Amtszeit vor dem Haus stehen und diejenigen, die die Tafel lesen, darauf hinweisen, daß das richtige Haus nebenan ist. Daß das Haus auch noch in diesem Jahr abgerissen werden soll, was in den Reden unerwähnt blieb, macht die Farce komplett.
Ich bin ein großer Verehrer von Heinrich Stahl. Er war wohl der bedeutendste Vorsitzende in der Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Sein Amt in schwerster Zeit antretend, hat er nichts unversucht gelassen, um den bedrängten Juden dieser Stadt zu helfen. Der Gestapo war er ein Dorn im Auge. Also handelt es sich bei Heinrich Stahl um einen Mann mit großem Mut, von denen es zu jener Zeit nicht viele gab. Daher tut es mir leid, daß die taz zu seinem 125. Geburtstag nur über die Farce berichtet und so gut wie nichts zum Leben und Wirken dieses vorbildlichen Mannes. [...] Raymond Wolff, Berlin
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