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Der 1. Mai blieb in Mitte stecken

■ Die „revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ wurde am Roten Rathaus von Veranstaltern aufgelöst / 67 Festnahmen

Berlin. „The same procedure as every year“ lautet der Spruch eines Butlers in einem berühmten britischen Neujahrssketch. Ähnliches gilt für die „revolutionären 1.-Mai- Demonstrationen“ und ihre ritualisierten Schuldzuweisungen. Während Polizeipräsident Hagen Saberschinsky gestern davon sprach, seine Beamten hätten sich am Samstag zunächst zurückgehalten und erst eingegriffen, als „Menschenleben in Gefahr gerieten“, sahen es die Organisatoren der Demonstration selbstverständlich ganz anders. Die Polizei, so ihr Vorwurf auf einer gestrigen Pressekonferenz, hätte von Anfang an versucht, die Demonstration „plattzumachen“. Daß der Protestzug am späten Nachmittag vorzeitig in der Nähe des Roten Rathauses abgebrochen werden mußte und auf die Abschlußkundgebung am Rosenthaler Platz verzichtet wurde, sei allein dem massiven Auftreten der Polizei zu verdanken. „Wir hätten sonst die Teilnehmer gefährdet“, meinte eine Sprecherin.

Dabei hatte sich am Samstag in der Oranienstraße in Kreuzberg dem Beobachter zunächst ein ungewohntes Bild geboten. Als sich die Teilnehmer (die Polizei sprach von 5.500, die Veranstalter von 10.000) kurz nach zwei Uhr in Bewegung setzten, wurde die Polizei zum ungewohnten Verbündeten der radikallinken Szene. Die maoistisch-stalinistische RIM, die schon auf dem Oranienplatz demonstrativ ihre Holzlatten mit dem blauen Aufdruck „Vier Mark – 2.95 Meter“ neben ihren gelben Kleinbus legte, prügelte sich mit ihrem Lautsprecherwagen am Ende des Zuges den Weg frei. Der Intimfeind der Autonomen wurde daraufhin mit einem Bombardement an Flaschen und Steinen bedacht, die Polizei ging dazwischen und schützte zunächst den Wagen. Doch an der Adalbertstraße holten die Weißbehelmten den eifrig schwenkenden Fahnenträger der RIM vom Dach, schalteten den Lautsprecher ab und fuhren den Kleinbus eigenhändig in Richtung Kottbusser Tor. Lauter Jubel, Applaus für die Beamten – für einen kurzen Augenblick war die autonome Welt in der Oranienstraße auf den Kopf gestellt.

Die offene Sympathie sollte nicht lange währen. Schon am Bethaniendamm Ecke Köpenicker Straße ging die Polizei massiv in den Zug hinein – kurz zuvor war sie mit Flaschen, Steinen und Knallkörpern beworfen worden. Drei Brandsätze gingen auf dem Asphalt in Flammen auf, die Polizei schoß mit Tränengas zurück. Es waren wohl solche Zwischenfälle, die den Zug durch die Innenstadt Stunde um Stunde schrumpfen ließen. Den Schlußpunkt setzte die Polizei an der Biegung Breite Straße/Mühlendamm, nahe der Olympia GmbH. Polizisten stürmten vor, griffen einzelne heraus, warfen sie rabiat zu Boden. Der 21jährige Fotograf David Malik aus Prag wurde – trotz sichtbaren Presseausweises – von einem Knüppel auf der Schulter getroffen. Im allgemeinen Durcheinander – ein paar Demonstranten versuchten, aus Baumaterialien eine Barrikade zu errichten – griffen schließlich je zwei Wasserwerfer und Räumpanzer ein. Eine klassische Vorstellung polizeilicher Taktik, die neugierig von den zahlreichen Touristen auf der Terrasse des „Restaurant Ephraim Palais“ verfolgt wurde. Der Zeiger der Uhr an der Karl-Liebknecht-Straße zeigte auf fünf Uhr, als die revolutionären Veranstalter ein Einsehen mit dem auf nunmehr rund 2.000 Anhänger dezimierten Zug hatten. Fazit der diesjährigen 1.-Mai-Demonstration: 67 Festnahmen laut Polizei, zahlreiche Verletzte, von denen mindestens fünf ins Krankenhaus eingeliefert werden mußten. Severin Weiland

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