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"Moralisch 'ne Sauerei, juristisch irrelevant"

■ Wohnungsgesellschafts-Mitarbeiterin soll sich an Wohnungsvermittlung bereichert haben / Staatsanwaltschaft: Alles legal

haben / Staatsanwaltschaft: Alles legal

Sie suchen eine Wohnung? Sie haben sich auf der Warteliste einer Wohnungsgesellschaft oder einer Genossenschaft eingetragen? Sie fragen sich, warum sie trotzdem keine Wohnungs-Angebote erhalten? Wundern sie sich nicht: Freiwerdende Wohnungen werden selbst bei städischen Wohnungsunternehmen nicht selten unter der Hand vergeben, mitunter gegen die Zahlung eines „Vermittlungshonorars“ durch den Wohnungssuchenden. Der lukrative Betrug an den mit regulären Methoden suchenden Wohnungslosen ist für die Abkassierer risikolos. Staatsanwaltschafts-Sprecher Rüdiger Bagger: „Moralisch eine Sauerei, aber juristisch irrelevant“.

Ein Beispiel: Über eine Wohnungsanzeige gerät Werner H., der seit längerem eine Bleibe sucht, im Januar an Michael P., der ihm ein interessantes Angebot macht: Gegen eine „Vermittlungsgebühr“ könne er Werner H. schnell und unbürokratisch eine Wohnung aus dem Bestand der „Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft“ (GWG) besorgen. Seine Bekannte Brigitte F., die in der „Geschäftsstelle Mitte“ der GWG arbeitet, würde dafür sorgen, daß Werner H. ohne lange Wartezeit eine freiwerdende GWG-Wohnung bekäme.

Da die Wohnungen der städtischen Gesellschaft streng nach Warteliste vergeben werden, muß Werner H. einen „Mietinteressentenbogen“ der Wohnungsgesellschaft ausfüllen, der auf den 17. September 1992 rückdatiert wird. Den Brief mit dem Bewerbungsformular schickt Michael P. an die Privatadresse seiner Bekannten.

Werner H. informiert die Polizei und die GWG-Spitze über das dubiose Angebot. Die Polizei leitet die Vorfälle an die Staatsanwaltschaft weiter, die Mitarbeiter des Wohnungsunternehmens bitten Werner H. auf das Geschäft zum Schein einzugehen. Tatsächlich bekommt Werner H. von Michael P. per Telefon immer neue Wohnungsofferten. So kündigt er Werner H. am 21. April an, dieser werde am nächsten Tag ein von Brigitte F. unterzeichnetes Angebot für eine Wohnung in Horn in seinem Briefkasten finden.

Als Werner H. nach einer Besichtigung der Wohnung Michael P. sein Interesse an einem Mietvertrag bekundet, eröffnet ihm dieser, Brigitte F. erwarte ihn am 26. April zwischen 14.30 Uhr und 15 Uhr zur Unterzeichnung eines Vorvertrages. Unmittelbar danach solle Werner H. zum Bahnhof Berliner Tor kommen, um ihm die Vermittlungsbebühr“ von 1 500 Mark in bar zu überbringen. Als Werner H. nachfragt, warum sich die Provision erhöht hätte, teilt ihm P. mit, daß die Horner Wohnung eine „bessere Qualität“ habe als das erste Angebot, und außerdem Brigitte F. den Großteil des „Honorars“ kassiere.

1Zum Schein unterzeichnet Werner H. den Vorvertrag, der vereinbarten Geldübergabe aber bleibt er fern.

Der Deal, präzise durch Zeugen und Tonbandmitschnitte belegt, wird vermutlich kaum Folgen haben. Die Staatsanwaltschaft stellte unterdessen die Ermittlungen gegen Brigitte F. und Michael P., die gestern für die taz nicht zu erreichen

1waren, ein, da sie „keine strafrechtlich relevanten Tatbestände“ entdecken konnte. GWG-Justitiar Friedrich Grunzke teilte der tazmit, die Vorwürfe von Werner H. ließen sich „nicht beweisen“.

Und das obwohl der GWG eine Kassette aus dem Anrufbeantworter von Werner H. vorliegt, auf der Michael P. diesen auffordert, endlich zur Geldübergabe zu er-

1scheinen, da Brigitte F. noch am heutigen Tage mit der „Vermittlungsgebühr“ rechne. Grunzke räumt lediglich ein, die GWG werde „sicherstellen“, daß sich die ,unbewiesenen' Vorfälle nicht wiederholen können. Doch wie die städtische Wohnungsgesellschaft das machen will, darüber schweigt der GWG-Justitiar sich aus. Marco Carini

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