: Gott Schmidt Uns Von Mathias Bröckers
„Ist heut' Montag?“ fragte Wolfgang Neuss vor zehn Jahren in der taz, und fuhr fort: „Sitzt doch Helmut Schmidt in Basel am Klavier und nimmt Mozart auf. Mal wieder typisch Imperialist Schmidt: will nicht nur alles mal gemacht haben, sondern auch alles gewesen sein – was er sich ja auch einbilden könnte am Brahmsee. Er könnte sich unter einen Busch setzen und sagen: He Loki, haste mal ne ordentliche Pflanze da? – Willste se rauchen oder willste se trinken? – Na, ich trink se mal lieber, wegen dem Schrittmacher. Ich trink se, und jetzt bilde ich mir ein... Ich bin der Weltwirtschaftsgipfel selbst.“
Es tut uns ja leid, daß wir hier, nicht immer, aber immer öfter, olle Klamotten zitieren müssen, aber was soll man machen, wenn sie wieder so aktuell sind wie am ersten Tag, oder sogar noch aktueller. Hat doch Helmut Schmidt, den der Gefreite Neuss am liebsten „Oberleutnant Schmidtler“ nannte, nicht nur versäumt, zu einer beruhigenden Pflanze zu greifen, um seine Rumhmsucht endlich zu kurieren, und sich statt dessen lieber einen dritten Herzschrittmacher einbauen lassen – neuerdings will er auch wieder Kanzler werden. Oder wedelt zumindest derart hyperwichtig herum auf sämtlichen Medienkanälen, daß er gar nicht anders kann, als dieses Ansinnen kokett abzuweisen.
Aber Leutnantskollege Augstein läßt nicht locker und pusht das Schmidtsche Comeback nach einem langen Interview-Riemen diese Woche mit einer Doppelseite über den „Grauen Panther im Affentheater“. Tja, was soll man auch machen, wo die verweichlichte Enkel-Generation zögernd und zaudernd scheitert, da müssen eben die alten Haudegen und Wehrmachtsknüppel noch mal aus dem Sack. Und hat er nicht dazumal die Sintflut so perfekt gemanaged wie Noah anno '62 die Hamburger Flutkatastrophe?
Also so jemand wird doch wohl auch das bißchen Vereinigungsstreß, die läppische Weltwirtschaftskrise und die voranschreitende Totalvergiftung des Planeten in den Griff kriegen – der Mann ist schließlich ein „Macher“. Und außerdem „versteht er was von Wirtschaft“.
Mit dem Schauder, der mich angesichts eines Schattenkanzlers Schmidt überkommt, soll nichts gegen das Alter gesagt sein: So wenig es vor Torheit schützt, so sehr kann es zur Quelle der Weisheit werden.
Altvater Helmut aber ist eher die Karikatur eines Wissenden und Weisen – und in seiner blinden Dynamik letztendlich gefährlicher als ein Zögerer und Zauderer vom Schlage Engholm. Dessen Qualität leuchtet wie so oft erst im Verschwinden auf: Zögern und Zaudern ist es. Langsamkeit, Durchatmen, zur Besinnung, zu Sinnen kommen. Nicht hektische Aktivität und „Gott Schmidt Uns!“ vorwärts. Das heißt, für den Bundestag ist statt Schmidt- Schnauze eher Schweigen angesagt. Ein Kanzler, der das Ruder wirklich rumreißen wollte, könnte auf eine Mikrofonanlage durchaus verzichten: eine Stunde gemeinsames Schweigen – bei Anwesenheitspflicht – und danach persönliche Aussprache. So fängt's erst mal an. „Die Live- Übertragung wird in ARD, Zeit, Spiegel und Bild schweigend kommentiert von...“
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