: Tolerant sind beide Musikstile nicht
■ betr.: "Originale Gangster", taz vom 23.4.93
betr.: „Original Gangster“,
taz vom 23.4.93
[...] Heiser leuchtet die Hintergründe, die zum verspäteten Erscheinen der Platte führten, in einer Weise aus, daß auch Menschen, die ansonsten von HipHop nichts halten, zumindest ansatzweise einen Einblick in die besondere Problematik dieser Musikform erhalten. Herzlichen Glückwünsch!
Was mich an der Besprechung stört, ist die fast schon glühende Verteidigung der Gewalt, zu der die arme schwarze Minderheit gegenüber der Polizei zumindest animiert werden könnte, gleich im Intro geht's schon los. Die Verachtung gegenüber den Gegnern dieser Art von Kunst, zum Beispiel Heston, ist meiner Meinung nach ebenso wenig angebracht, sollen diese Leute doch sagen, was sie wollen. Ich habe das Gefühl, daß sich in der hiesigen Berichterstattung über HipHop eine ganz merkwürdige Toleranz gegenüber Gewalt, sei es gegen die Staatsgewalt, sei es gegenüber Frauen, breitmacht. Zugegeben, es ist schon cool, wie irgendwelche Ex-Gangster von ihrem Leben erzählen, Crack und Uzi inklusive, the bitches in nice cars ebenso. Gleichzeitig ertönt ein ungeheurer Aufschrei, wenn Produkte dieser Art verboten werden. „Zensur!“ schreit das linke Volk und fühlt sich durch diese Meinungsäußerung mit den schwarzen brothers and sisters verbunden, das gute alte Nicaragua-Feeling, nur mit geileren Klamotten und härteren Rhythmen.
Das Hosianna für Hardcore-HipHop wird gleichzeitig abgelöst durch den Kreuzzug gegen Bands mit rechtsradikalem Gedankengut. Die Skinhead-Band „Kraftschlag“ muß sich am 12. Mai vor dem Itzehoer Landgericht wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß verantworten (taz-Hamburg vom 28.4.93). Platten anderer Bands stehen auf dem Index, die Diskussion, ob die Texte von „Störkraft“, „Böhse Onkelz“ usw. den Weg bereiten für Ausschreitungen gegen Ausländer, ist in Deutschland aktuell wie nie. Kann ja sein, daß ich naiv bin, aber ich stehe auf dem Standpunkt, daß jeder Mensch die Musik hören sollte, die er gut findet. Musik ist immer nur Ausdruck einer Geisteshaltung, die schon besteht, durch ihren Erfolg diese Strömungen aber erst in das Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit bringt.
Zum Thema „Rassenhaß“ fällt mir noch ein, daß ich einmal in den Genuß gekommen bin, ein Konzert von „Public Enemy“ in der Londoner „Brixton Academy“ verfolgen zu können. Außer mir waren da vielleicht noch ein Dutzend anderer Quarknasen, ansonsten nur Schwarze. Lieber Jörg Heiser, da hättest Du mal Rassenhaß erleben können. Ich war froh, als ich wieder draußen war? Was PE damals veranstaltet hat, ist kein Vergleich zu dem, was sie meinetwegen in Deutschland von sich geben, fight against the bloody motherfuckers! war noch das Harmloseste, und einer der motherfuckers war ich.
Vielleicht muß man sich die Frage stellen, ob Skinmusik nicht ebenso eine Ventilfunktion erfüllt wie Hardcore-HipHop. Besonders tolerant sind beide Musikstile in Form und Ausdruck nicht. Vielleicht gefallen mir Ice-T, PE etc. einfach deswegen besser, weil mir Rostock-Lichtenhagen geographisch näher und deswegen unangenehmer ist als South Central L.A. Sascha Langenbach, Hamburg
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