piwik no script img

Mit Dixie in den ersten Streiktag

10.000 in Sachsen vor den Werktoren / Steinkühler: Millionen sind stärker als Millionäre  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Verriegelt und besetzt ist seit diesem Montag morgen das Tor zur AEG-Starkstromanlagenbau in Dresden. Die KollegInnen davor in ihren roten IG-Metall-Kitteln sind die Ruhe selbst. „Dieser Betrieb wird bestreikt“, heißt es auf den Plakaten. Plaudernd steht die Belegschaft beisammen. Einige haben es sich im provisorischen Gartenlokal bei Kaffee und Bratwurst bequem gemacht. Rote Nelken werden verteilt, Flugblätter und Plaketten. Eine Dixielandgruppe bringt Rhythmus in die frühe Stunde.

Die Stimmung ist bestens, doch zum Spaß sind die Leute nicht hier zusammengekommen. In den Gesprächen werden die vergangenen heißen Wochen reflektiert. „Noch zum Warnstreik war ich unschlüssig“, gesteht ein Kollege seiner Gesprächsrunde, „aber wie es seitdem gelaufen ist, da ist der Streik unvermeidlich.“ „Abwarten, was passiert, wir haben unseren Teil getan“, meint ein anderer, und er beschreibt damit wohl am genauesten das Klima auf dem Platz.

Vor der ersten Postenkette verstellen sich abgewiesene Brummis und Personenwagen beinahe alle Rückzugswege. Spediteure fluchen, als hätten sie eben erst vom Streik erfahren. Ein hemdsärmliger Ladafahrer gibt Gas und verschafft sich gewaltsam freie Fahrt. Er will nicht zur AEG, im weiträumigen Industriegelände arbeiten noch einige kleinere Firmen. Deshalb sind die Posten zwar konsequent, aber nicht stur. „Keine Streikbrecher“ melden sie pflichtbewußt, als sie von ihrem IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düvel begrüßt werden.

„Froh sind wir nicht über den Streik“, erklärt Betriebsrat Werner Fahrag. „Obwohl, wir sind hier von vielen Sympathisanten umgeben“, verweist er auf die benachbarten Firmen. „So werden wir die Zeit schon durchstehen.“

Mit dem sächsischen Gewerkschaftsführer ist Franz Steinkühler aus Frankfurt gekommen. Ihren ersten Besuch hatten beide bereits im Sachsenwerk, einem Großunternehmen am anderen Ende der Stadt. Auch dort dreht sich kein Rad mehr. Hasso Düvel ist die Freude über den „eindrucksvollen Streikauftakt“ anzusehen. Ein „dosierter“ Beginn des gewerkschaftlichen Kampfes, wie er den KollegInnen erklärt. So sollen die Arbeitgeber „merken, daß wir streikfähig sind“, aber auch Gelegenheit zu „konstruktiven Tarifgesprächen“ erhalten. Noch am Abend will sich Düvel mit seinem Kontrahenten Hans-Peter Münter am Tisch des sächsischen Ministerpräsidenten treffen. „Wenn die Arbeitgeber in dieser Woche die Chance nicht nutzen“, stellt er klar, „dann wird schon in der nächsten Woche der Streik deutlich ausgeweitet.“

An einer „breiten, solidarischen Bewegung im Westen“ werde es nach Ansicht des sächsischen Gewerkschafters nicht fehlen. Welche Erwartungen die IG Metall an ihre Mitglieder stellt, formuliert Franz Steinkühler ganz konkret: Für den 12. Mai sei in der gesamten Metallindustrie ein Protest- und Aktionstag geplant. „Und wir hoffen, daß an diesem Tag kein Rädchen geht!“ Den Arbeitgebern soll demonstriert werden, daß „auch in Ostdeutschland Millionen stärker sind als Millionäre.“

Auf die politische Dimension des Streiks eingehend, macht Düvel den KollegInnen noch einmal Mut: „Wenn wir diesen Kampf zu unseren Gunsten entscheiden, und ich bin mir dessen sicher, werden wir auch weitere Kämpfe um soziale Gleichheit und Demokratie bestehen können.“

Etwa 10.000 sächsische Metall- GewerkschafterInnen sind an diesem ersten Streiktag vor die Werktore gegangen. Eine Gruppe von 100 Arbeitern sei „an der Hand von leitenden Angestellten“ ins VW-Werk Mosel bei Zwickau geführt worden, gibt Franz Steinkühler gegenüber der Presse bekannt. „Die Gewerkschafter dort kümmern sich darum, daß das morgen nicht noch einmal passiert.“ Schon am Wochenende hätte es bei VW Versuche gegeben, Bauzäune zu demontieren, um den Betrieb „offener zu machen“. 100 Leute, relativiert Steinkühler den Zwischenfall, „das ist weniger als die Zahl der Nichtorganisierten“.

Ein Ende des Streiks noch in dieser Woche wird ausgeschlossen. Das gestrige abendliche Spitzengespräch am Abend bei Biedenkopf hat bestenfalls Hürden für den Beginn von Tarifgesprächen am Dienstag im Hotel „Dresdner Hof“ abgebaut. „Man kann sich nach dem Tarifbruch nicht so einfach wieder an einen Tisch setzen“, erklärt Hasso Düvel die Situation der Gewerkschaft gegenüber dem Unternehmerverband. Ob Biedenkopf, nachdem vor zwei Wochen sein Vermittlungsversuch an Gesamtmetall gescheitert ist, erneut als Moderator zur Verfügung stehen wird, ist ungewiß.

Die IG Metall erklärt sich jedenfalls verhandlungsbereit. Doch eine „Generalamnestie“ wird es nach den Worten von Düvel nicht geben. Sollte es am Dienstag zu einer Einigung kommen, müssen die Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung darüber befinden. Auf keinen Fall wird der Arbeitskampf ausgesetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen