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■ Drei nach neunHeide!

Bis jetzt waren Sie uns immer sympathisch, verehrte Heide Simonis, schon weil Sie die einzige Frau auf der Politikbühne sind, die uns keine Zungenbrecher abverlangt. Däubler-Gmelin, Wieczorek-Zeul, Adam-Schwätzer, Leutheusser-Schnarrenberger – wie wohltuend einfach und bescheiden klingt da Ihr Name, wie geschaffen für eine öffentliche Position. [harehare, sehr komisch und so schön zynisch, die Politikerinnen nach ihren Namen zu beurteilen, Kalauer, Vers 15, Psalm 21, d. s-in] Doch nun müssen wir uns überlegen, ob wir Sie von unserer Wunschliste „Menschen, denen wir bei McDonald's in Plön begegnen möchten“, nicht doch streichen sollten. Wir haben Sie nämlich neulich bei „Drei nach neun“ gesehen, und seitdem fragen wir uns, ob das „P“ im Namen Ihrer Partei vielleicht „peinlich“ bedeuten soll. Die Zeichen mehren sich. Eben noch ist Ihr Parteifreund Günther Jansen bei einer Pressekonferenz mit einer Krawatte erschienen, auf der wir „Nobody is perfect“ lesen konnten, dann wurde ausgerechnet Manfred Stolpe zur Eröffnung des Holocaust-Museums nach Washington geschickt. Und nun haben Sie in besagter Talkshow ein Lied zum besten gegeben. Live und solo. Hätten Sie sich an einem deutschen Volksgut vergriffen, sagen wir an „Hoch auf dem roten Wagen“, würden wir uns mit der Feststellung begnügen, daß Sie sich wie Caterina Valente mit 39,5 Grad Fieber anhörten. Aber nein, Sie mußten „We shall overcome one day“ singen, das Lied, mit dem die amerikanischen BürgerrechtlerInnen einst gegen Rassismus und Krieg in Vietnam demonstrierten. Was, in Willys Namen, hat Sie dazu bewogen? Wollten Sie dem derzeit in der SPD herrschenden Gefühl der Verzweiflung Ausdruck geben? Wollten Sie signalisieren: Es kommen bessere Tage? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, daß wir einige Augenblicke lang nicht wußten, ob wir Zeugen eines Harakiri oder einer Fata Morgana wurden. Nun rechnen wir mit dem Schlimmsten: bei ihrem nächsten öffentlichen Auftritt, gleich nach dem Rücktritt von Björn Engholm, werden Sie gewiß das Lied der jüdischen Partisanen von Wilna singen: Sag nicht keinmal, daß du gehst den letzten Weg, Oj Gewalt! Henryk M. Broder

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