: Die UNO-Flagge weht in Mogadischu
Die Vereinten Nationen haben den Oberbefehl über Somalia übernommen / UNO-Sonderbeauftragter will „Erwartungen kleinhalten“ ■ Von Dominic Johnson
Berlin (taz) – Das Sternenbanner weht nicht mehr über Somalias Hauptstadt. Gestern mittag wurde die Flagge der USA auf dem ehemaligen US-Botschaftsgebäude in Mogadischu, das als Hauptquartier der internationalen Militärintervention in Somalia dient, eingeholt und durch die der UNO ersetzt. Im UNO-Auftrag übernahm der türkische General Cevik Bir vom US- General Bob Johnston das Kommando über die ausländischen Truppen in Somalia und damit formal gesehen das Gewaltmonopol über das kriegszerstörte Land. Genau 146 Tage nach der Landung der ersten US-Marines begann somit die Operation UNOSOM II, die gemäß der UNO-Resolution vom 26. März mit etwa 30.000 Blauhelmsoldaten den Frieden in Somalia sichern soll.
Hinter der Bezeichnung UNOSOM II verbirgt sich eine peinliche Erinnerung – an UNOSOM I, die erste UNO-Mission in Somalia. Ende Juli 1992 hatte die UNO 50 unbewaffnete Blauhelme aus Pakistan am Flughafen von Mogadischu stationiert. In der kaputten Stadt waren sie bloße Statisten, von der Bevölkerung verhöhnt, von den Kriegsführern ignoriert. Ihr Fiasko gab den Ausschlag dafür, daß die diskreditierte UNO schließlich den Einmarsch von über 30.000 US-Soldaten billigte.
Nun patrouillieren in Mogadischu nicht mehr US-Amerikaner, sondern ausgerechnet wieder Pakistanis. Werden sie mehr Erfolg haben als ihre Vorgänger? General Johnston sagte gestern zum Abschied, der Hunger in Somalia sei besiegt; die Somalier hätten heute wieder „Grund zu lachen“. Hilfsorganisationen sind sich einig, daß der US-Einmarsch die Lage zumindest in den Städten verbesserte: Die Milizenführer beeilten sich, mit den US-Truppen zusammenzuarbeiten; sie schickten ihre Kämpfer nach Hause, versteckten ihre Waffen und trafen sich zu Friedensgesprächen. „In der Frage der Sicherheit kann ich sagen, daß etwa 70 Prozent erreicht worden ist“, erklärte Frauenführerin Faduma Ahmed Alim der Washington Post. „Die Leute bringen sich nicht mehr um, auf dem Land bestellen die Leute ihre Felder wieder, das Leben wird besser. Die Aufgabe ist jetzt, von der Nothilfe zum Wiederaufbau zu schreiten. Das ist die Herausforderung“.
Es ist eine schwierige Herausforderung. Zwar wurden im März auf einer Geberkonferenz in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba der UNO 130 Millionen Dollar für den Wiederaufbau Somalias zugesagt. Doch bisher ist davon nichts eingetroffen, und so liegen dringend notwendige Demobilisierungsprogramme für arbeitslose somalische Krieger auf Eis. Das könnte die UNO-Mission langfristig gefährden: „Das größte Problem sind diese Tausende von jungen Männern, die im Land umherschwirren“, sagt Paul Mitchell, Sprecher des UNO-Welternährungsprogramms (WFP). Wenn sie nicht in die Gesellschaft reintegriert würden, „kommen alle diese Milizen wieder zum Vorschein.“
Denn klar ist auch, daß bisherige Erfolge der internationalen Intervention auf freiwilliger, aufkündbarer somalischer Kooperation beruht haben. Die anti-amerikanischen Demonstrationen in Mogadischu Ende März, während in Addis Abeba eine Somalia-Friedenskonferenz der UNO stattfand, unterstrichen dies ebenso wie die bei dieser Konferenz erzielte Vereinbarung, wonach Somalias politische Fraktionen Vertreter in einen gemeinsamen Präsidialrat entsenden, der zusammen mit der UNO das Land verwalten soll. Die USA haben immer bestritten, daß zu ihrer Mission die Entwaffnung der somalischen Milizen gehörte, und haben eine allgemeine Entwaffnung bewußt unterlassen.
Das UNO-Gewaltmonopol in Somalia existiert somit lediglich auf dem Papier. Nun erwarten UNO- und US-Beamte in Mogadischu, daß die UNO demnächst auf ihre Durchsetzungsfähigkeit getestet wird: „Wir erwarten einen Test, und wir haben Pläne, wie wir reagieren werden“, zitiert die Los Angeles Times einen US-Oberst. Ein US-Mitarbeiter einer Hilfsorganisation ist pessimistisch: „Alle fürchten, daß diese Leute mehr und mehr wie eine Besatzungsarmee aussehen werden. Wenn sie auf einen Test hart reagieren, wird es für uns alle schlimmer.“
Um eine neue Kriegsrunde in Somalia zu vermeiden, spielt die UNO auf Zeit – und riskiert damit, die ohnehin geringen in sie gesetzten Hoffnungen zu enttäuschen. Jonathan Howe, der neue, aus den USA stammende UNO-Sonderbeauftragte für Somalia, bezeichnete am Wochenende gegenüber US-Journalisten in Mogadischu seine Aufgabe als die, „Erwartungen kleinzuhalten“. Während Hunderte Somalis in der Hoffnung auf Arbeit vor seinem Hauptquartier warteten, erklärte Howe: „Ich bin ein bißchen besorgt über die Erwartung, daß da oben ein großes Dollar-Schild hängt und daß die Welt jedem Somali ein gutes Leben schuldig ist.“
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