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Medienhetze in Paris

■ Französischer Verteidigungsminister Léotard: Mord an Bérégovoy läßt Holocaust des Spottes vorausahnen

Paris (taz) – Den Selbstmord von Ex-Premierminister Pierre Bérégevoy haben mehrere französische Politiker dazu benutzt, ihre Rechnungen mit den Medien zu begleichen. Den Auftakt machte der sozialistische Senator und Ex- Haushaltsminister Michel Charasse. „Wenn ich Richter oder Journalist wäre, würde ich heute nacht nicht gut schlafen“, sagte der Politiker am Samstag, unmittelbar nachdem bekanntgeworden war, daß sich Bérégovoy erschossen hatte.

Während Charasse vielleicht von der ersten Emotion mitgerissen wurde, hatte Laurent Fabius, Ex-Parteichef der Sozialisten, Zeit, sein Urteil zu durchdenken. „Es gibt Worte, Karikaturen, Bilder, die die Kraft von Kugeln haben“, geißelte er die Medien gestern in der Zeitung Le Monde. Der eigentliche Grund für die Verzweiflung von Pierre Bérégovoy sei „die Masse der Verleumdungen, die über ihn hereingebrochen ist“.

Den Gipfel schoß der rechtsliberale Verteidigungsminister François Léotard ab. Ebenfalls in Le Monde schrieb er: „Es handelt sich nicht um einen Selbstmord. Es handelt sich nicht um eine Wahlniederlage. Am Anfang steht ein Mord.“ Pierre Bérégovoy sei „das erste Opfer einer neuen Kultur“ geworden. „Er läßt einen kommenden Holocaust vorausahnen, nicht den des Hasses, sondern den (...) des Spottes“, meint Léotard und prangert einen „eleganten Faschismus“ an. Léotard selbst steht seit langem in der Schußlinie des Satireblattes Le Canard Enchaîne, weil er zu einem ungewöhnlich geringen Preis ein Herrenhaus gekauft hat und dort unter zweifelhaften Zahlungsbedingungen Bauarbeiten ausführen ließ.

Unterdessen fragen sich alle französischen Medien, ob sie Mitschuld haben am tragischen Tod von Bérégovoy. Der vor einem Monat aus dem Amt geschiedene Premierminister war Anfang Februar in die Schlagzeilen geraten: ein Untersuchungsrichter hatte ausgegraben, daß er sich 1986 von dem dubiosen Geschäftsmann Roger-Patrice Pelat für den Kauf einer Wohnung eine Million Francs (300.000 Mark) ausgeliehen hatte. Die verschwommenen Rückzahlungsbedingungen ließen vermuten, daß es sich eher um ein Geschenk als um einen zinslosen Kredit gehandelt hatte.

Natürlich stellten die Medien die Frage, welchen Einfluß das Geld auf den Mann gehabt haben könnte, der zweimal Finanzminister war. Das eigentliche Problem besteht jedoch in der Person des inzwischen verstorbenen Pelat, der im Mittelpunkt eines riesigen Finanzskandals steht. Der Prozeß dieser Affäre beginnt im Juni; Bérégovoys ehemaliger Kabinettsdirektor sowie ein Vertrauter sind angeklagt, wirtschaftliche Informationen weitergegeben zu haben. Bérégovoy mußte damit rechnen, in dem Prozeß als Zeuge vorgeladen zu werden. Darüber hatte die Presse bislang kein Wort verloren; der etwas zweifelhafte Kredit war bereits seit Ende Februar kein Thema mehr. So kommen die französischen Medien auch zum Schluß, daß Bérégovoy nicht über die Maßen angegriffen oder gar verunglimpft worden ist.

Es besteht kein Zweifel, daß diese Affäre Bérégovoy tief getroffen hat. Er hatte sich mit dem Argument verteidigt, es habe sich um eine rein private Geschichte gehandelt, die ihn als Politiker nicht beträfe. Im Widerspruch dazu hatte er selbst jedoch in seiner Regierungserklärung den Kampf gegen die Korruption in den Mittelpunkt gestellt und später durchgesetzt, daß die Vermögen von Ministern und Abgeordneten veröffentlicht werden müssen. Die von ihm eingesetzte Kommission gegen Korruption schlug insbesondere vor, daß in Sachen „Darlehen, Vorschüsse, Garantien oder Kautionen“ klare ethische Richtlinien aufgestellt werden sollten. Bettina Kaps

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