: „Kein Verdikt über die CDU als Ganzes“
■ Interview mit Trutz Graf Kerssenbrock, dem ehemaligen CDU-Landtagsabgeordneten in Schleswig-Holstein, der die Beschwerdeführer vor Gericht vertrat
taz: Herr Kerssenbrock, haben Sie dieses Urteil erwartet?
Trutz Graf Kerssenbrock: Ich habe es erhofft, aber da es nun wirklich einmalig ist für die Geschichte der Bundesrepublik, konnte ich es wohl nicht erwarten.
Sie haben mitbekommen, daß es nach der Urteilsverkündung eine aufgeregte Diskussion gegeben hat – was denn nun passiert, wie es weitergeht. Weil dieser Fall einmalig und in der Verfassung nicht vorgesehen ist. Sind Sie da schon etwas schlauer?
Das habe ich noch nicht prüfen können, das richtet sich normalerweise nach dem Wahlgesetz, und im übrigen muß wohl dann ergänzend das Bundeswahlgesetz herangezogen werden, mindestens in analoger Anwendung. Ich kann Ihnen die Frage jetzt beim besten Willen nicht beantworten.
Gibt es denn Präzedenzurteile?
Nein, eben nicht. Im Kommunalrecht gibt es natürlich Präzedenzfälle hinsichtlich der Frage der unverzüglichen Anberaumung der neuen Wahl und ähnlicher Dinge. Aber das kann ich Ihnen aus dem Stehgreif wirklich nicht beantworten.
Zur Urteilsbegründung. Das war ja ein glatter Durchmarsch für Sie...
Ja, alle wesentlichen Argumentationen vom Beschwerdeführer sind vor Gericht anerkannt worden, soweit ich das habe nachvollziehen können in der Schnelle. Wobei eben auch betont werden muß, und das finde ich wichtig, daß das kein Verdikt über die CDU als Ganzes ist. Noch nicht einmal über ihren Landesverband, sondern es betrifft eben dieses Wahlverfahren, das in der Bundesrepublik, soweit ich beurteilen kann, wirklich einmalig ist.
Insofern ist das eine bahnbrechende Entscheidung, weil es für Parteimitglieder ein Signal ist, daß diese sich nicht jedes Verfahren bieten lassen müssen, sondern hier wirklich auch die Rechte, die einem Staatsbürger und Parteimitglied zustehen, ausgeschöpft werden können.
Das Gericht hat in der Begründung keine Forderungen an den Gesetzgeber gestellt...
Das habe ich anders verstanden. Ich meine schon, daß das bisherige Wahlprüfungsverfahren sehr deutlich als unzureichend kritisiert worden ist und daß die Landeswahlleiterin, die ja als Zeugin angehört worden ist, ein Verfahren geschildert hat, das für das Gericht jedenfalls deutlich zu wenig Tiefenschärfe in der Prüfung angezeigt hat. Und da sich die Landeswahlleiterin wohl durchaus auf die Buchstaben des Landeswahlgesetzes berufen kann, habe ich das als sehr deutliche Kritik am Hamburger Gesetzgeber verstanden.
Als Kritik schon, aber nicht als Aufforderung, dieses Gesetz zu ändern...
Aber sicher, denn wenn in Zukunft verhindert werden soll, daß auf diese Weise Wahlen angefochten werden, also vielmehr im Zulassungsverfahren solche Mängel erkannt und behoben werden können, dann ist das schon eine Aufforderung an den Gesetzgeber, eine solche Prüfung gesetzgebungstechnisch zu ermöglichen.
Hat Ihnen in der Begründung irgend etwas gefehlt?
Es ist nicht Stellung genommen worden zu der Frage, ob denn nun die nichtwahlberechtigten Mitglieder der Hamburger CDU, die an dieser Entscheidung teilgenommen haben, hätten teilnehmen dürfen. Beziehungsweise, ob die Wahlberechtigten, die nicht Mitglieder der Hamburger CDU sind, hätten eingeladen werden müssen. Hierzu hat sich das Gericht bedeckt gehalten. Aber das war eben nach den anderen schweren Mängeln, die festgestellt worden sind, wohl auch nicht erforderlich.
In Karlsruhe läuft noch ein Verfahren wegen der Bundestagswahl von 1990. Da ist die Beschwerde fast gleichlautend mit der in Hamburg. Nur geht es da um das Ergebnis eines Bezirks in Hamburg, nämlich Altona. Könnte das Hamburger Urteil Einfluß auf dieses Verfahren haben?
Auf jeden Fall wird das Bundesverfassungsgericht dieses Urteil mit in seine Betrachtungen mit einzubeziehen haben, wie es überhaupt die gesamte Rechtsprechung natürlich einzubeziehen hat in seine Würdigung. Ich muß Sie insoweit korrigieren. Es geht auch um das Hamburger Landeswahlergebnis zur Bundestagswahl 1990, und insofern kann es sämtliche Abgeordnetenmandate, die aus Hamburg erteilt worden sind, betreffen.
Das heißt, wir könnten dann damit rechnen, daß in Hamburg partiell eine neue Bundestagswahl angesetzt wird?
Ich will das mal sehr vorsichtig formulieren: Es ist theoretisch vorstellbar, daß die Hamburger CDU- Bundestagsmandate nicht mehr gültig wären. Das halte ich für eine denkbare Rechtsfolge.
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