: Ein deutsches Phänomen?
Hamburger Premiere des umstrittenen Films ■ Die Denunziantin
Regisseur Thomas Mitscherlich hat sich viel vorgenommen. In seinem Film Die Denunziantin will er das deutsche Wesen auf seinen Hang zum Verrat hin untersuchen. Denn schließlich gilt es zweierlei deutsche Vergangenheit zu bewältigen: Die Denunziation im totalitären Nazi-Deutschland und in der aktuellen Stasi-Debatte. Verrat – ein deutsches Phänomen?
Um es gleich vorweg zu nehmen, Mitscherlichs Film wird diesem allumfassenden Anspruch nicht gerecht. Viel zu eng ist der Rahmen um die historische Biographie der „Denunziantin“ Helene Schwärzel gelegt. Jener kleinen Lohnbuchhalterin, die im Jahr 1944 einen führenden Kopf des konservativen Widerstands verrät: Carl-Friedrich Goerdeler, ehemals Bürgermeister von Leipzig, und Mitarbeiter der Widerstandsgruppe um Graf Schenk von Stauffenberg. Für den Fall von Hitlers Sturz war er als Reichskanzler vorgesehen.
Es ist Mitscherlichs Verdienst, diesen historischen Fall für das Kino rekonstruiert zu haben. Doch seine Bildersprache ist allzu schwer und metaphorisch aufgeladen, der Film wirkt düster und schwerfällig. Die Dialoge wirken oft wie kunstvoll gedrechselte Bühnenzitate. Auf die Gründe für ihren Verrat angesprochen, antwortet die Denunziantin: „Das Böse war eben stärker“. Religiöse Verbrämtheit muß zur Begründung herhalten.
Doch Katharina Thalbach verkörpert die Figur Helene Schwärzel glaubhaft: verhuscht, naiv und vom Leben im Stich gelassen. So liegt die Stärke des Films in der Charakterstudie dieser Frau. Die historischen Hintergründe werden dagegen nur am Rande erwähnt. Auch deshalb wurde Mitscherlichs Film, der auf den Berliner Filmfestspielen Premiere hatte, von der Kritik zwiespältig aufgenommen. rk
Anläßlich der heutigen Hamburger Premiere im Zeise-Kino wird vorher um 18 Uhr im Foyer des Filmhauses eine Podiumsdiskussion zum Thema Denunziation stattfinden. Anwesend werden unter anderem sein: Der Regisseur, Lothar Bisky (Vorsitzender der PDS) und Inge Marßolek (Autorin der „Denunziantin“)
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