: „Stadtmusikanten waren Behinderte“
■ Behinderte fordern Anti-Diskriminierungsgesetz / Bremens Unternehmen Vorletzte
“Der erwerbsunfähige Esel, der laufunfähige Hund, die zahnlose Katze und der impotente Hahn: Die Bremer Stadtmusikanten waren die erste Behindertengruppe in Bremen.“ Horst Frehe, Richter, grüner Ex-Bürgerschaftsabgeordneter und Rollstuhlfahrer, nannte die TeilnehmerInnen der Demonstration gestern nachmittag auf dem Marktplatz „würdige Nachfahren der Stadtmusikanten“. Einige hundert Menschen aus Bremen und Umzu waren vor das Rathaus gezogen, um für ihre Rechte
hierhin bitte
die Demonstration
zu demonstrieren.
Anlaß war die „europaweite Protest-und Informationswoche für die Gleichstellung und Anti- Diskriminierung behinderter Menschen“ vom 3. bis 9.Mai, die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet. In Bremen versammelte sich mittags ein bunter Demonstrationszug, der vom Weidendamm auf den Marktplatz zog. Auf Transparenten verkündeten Behinderte und BetreuerInnen selbstbewußt:“Wir gehören dazu“ und „Was heißt hier behindert — wer ist es nicht?“. Und immer wieder fand sich die zentrale Forderung der Behinderten auf den Plakaten: ein Gleichstellungs-und Antidiskriminierungsgesetz.
Der „Düsseldorfer Appell gegen die Diskriminierung Behinderter“ fordert die Erweiterung des Diskriminierungsverbots im Grundgesetz: Niemand soll wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung benachteiligt werden. „Es sind im seltensten Fall die einfachen Bürger, die uns zu schaffen machen,“ sagte Horst Frehe. „Es sind die Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Unternehmen, die mit einem solchen Gesetz zur Gleichbehandlung Behinderter gezwungen werden sollen.“ Es gehe nicht an, daß in Deutschland die Höhe von Stufen vor einer Gaststätte gesetzlich geregelt sei, aber die Abschaffung der Stufen unmöglich gemacht werde. Die Diskriminierung von Behinderten sei noch längst nicht vorbei: ein „Sport“ wie das „Zwergenwerfen“ zeige das ebenso wie Urteile, in denen Behinderte als „Reisemangel“ eingestuft würden oder akademische Diskussionen über die Tötung und Selbsttötung behinderter Menschen.
Eine gesetzliche Vorschrift zur Eingliederung behinderter Menschen gibt es in Deutschland bereits: das Schwerbehindertengesetz schreibt vor, daß Betriebe mit mehr als 16 Angestellten auf mindestens sechs Prozent der Arbeitsplätze Behinderte einstellen. Etwa jeder zehnte Deutsche, so der „Düsseldorfer Appell“, ist von körperlicher, seelischer oder geistiger Beeinträchtigung betroffen. In der Beschäftigungsstatistik, die das Bremer „Förderwerk e.V.“ ausgewertet hat, liegt die Hansestadt weit hinten: Mit nur 3,3 Prozent Behindertenquote liegen die Bremer Privatunternehmen an vorletzter Stelle im Bundesdurchschnitt.
Die öffentlichen Arbeitgeber sind im Bundesvergleich zwar fünfter, erfüllen aber auch nicht die Pflichtquote von sechs Prozent. Insgesamt müßten in Bremen laut Schwerbehindertengesetz fast 6000 Behinderte mehr beschäftigt werden als es derzeit der Fall ist.
Bernhard Pötter
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