Zweifelhafte Weltenbürger

„Legionäre, Ihr seid gekommen, um zu sterben. Wir zeigen Euch den Weg.“ Warheads berichten  ■ Von Hannes Klug

„Homemade warheads“, sagt der britische Söldner Karl im verschneiten kroatischen Gospic ironisch ans Kamerateam gewandt und zeigt auf selbstgebastelte Raketen, die aus dem Fenster auf der Beifahrerseite seines Autos ragen. Es klingt ein bißchen, als spreche er von „homemade cookies“ und einer englischen Kleinstadtidylle. Doch Karl, der sich mit Alkohol, Valium und Nikotin am Leben hält, sucht sich sein wechselndes Zuhause seit 15 Jahren in schäbigen Baracken an Krisenorten rund um den Globus. Der Krieg ist eine Fluchtmöglichkeit aus der Welt der bürgerlichen Konvention, die für Karl mehr Leichengestank ausströmt als jedes Schlachtfeld.

Für den heute 53jährigen Günter Aschenbrenner war die Fremdenlegion – wie für viele ehemalige deutsche Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg – ein Ort, um materieller Not und beruflicher Perspektivlosigkeit zu entkommen. Seine Grundausbildung absolvierte er 1958 in Algerien, und die Parole, die ihn am Eingang der Kaserne begrüßte, sprach Klartext: „Legionäre, Ihr seid gekommen, um zu sterben. Wir zeigen Euch den Weg.“ „Gab es auch tragische Fälle?“ fragt der Regisseur aus dem Off, und Aschenbrenner antwortet ruhig: „Ja, manche haben durchgedreht, sind Amok gelaufen oder desertiert. Von 43 haben sich fünf eine Kugel in den Mund geschossen.“ Diese vier Monate, so erinnert er sich, seien die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen. Aschenbrenners 20jährige Laufbahn führte ihn in den Tschad, nach Somalia, Tunesien, Tahiti und Guayana. Wie die meisten langgedienten Fremdenlegionäre hatte er nach seiner Entlassung keine Probleme, als Militärexperte hochdotierte Jobs zu finden.

Regisseur Romuald Karmakar, der mit dem Münchner Werkstattkino seine ersten Filmerfahrungen sammelte, macht die beiden Biographien des Fremdenlegionärs und des bezahlten Söldners zum Schwerpunkt seiner dreistündigen Dokumentation. Der Titel ist programmatisch: Die „Warheads“ sind nicht nur die Gefechtsköpfe der Raketen, sondern auch die zerfurchte Physiognomie des psychischen und physischen Wracks Karl, die biedere Gesetztheit im Gesichtsausdruck des zum Militärexperten und zweifelhaften Weltenbürger gewordenen Bayern Aschenbrenner oder die bemalten Gesichter der martialisch ausgestatten Guerillakämpfer in einem Trainingscamp in Jackson/Mississippi.

Doch gleichzeitig sind die Köpfe der einzelnen nur Oberflächen, hinter deren Erscheinung sich Erfahrungen konservieren. In dem kleinbürgerlichen Auftreten Aschenbrenners sucht man vergeblich nach Spuren dessen, was er berichtet. Das belichtete Zelluloid ist nur die Folie, die das Erzählte in der Gegenwart verankert, durch die aber eine ganz andere Welt hindurchscheint. Karmakar gelingt eine subtile Introspektive ins Bewußtsein seiner Personen, die die psychologischen Mechanismen offenlegt, mit denen sich Fremdenlegion und Söldnertum als Mythos beständig selbst reproduzieren.

Ob Aschenbrenner von der bürokratischen Organisation im Militärbordell, vom Todesmut arabischer Partisanen oder der überwältigenden Ästhetik einer Atomexplosion erzählt – immer mündet die Erfahrung wieder in die Legende von der Fremdenlegion als Überfamilie und als Vorbild multinationaler Kameradschaft und wird so auf Symbole reduziert. Zu solchen Symbolen gehören an der Brust aufgereihte Orden ebenso wie das Soldatenlied vom Polenmädchen oder die magische Bedeutung von Jahreszahlen, Stationierungsorten und Kommandeursnamen. Der stumpfsinnigste Straßenbau und das sinnloseste Manöver werden mit Bedeutung aufgeladen und in heiliges Wissen übersetzt, das man unter Fremdenlegionären ein ums andere Mal neu wiedergibt.

Karmakar wurde öfter heimlich Sympathie mit dem von ihm Gezeigten vorgeworfen. Dabei gibt „Warheads“, auch wenn er nicht ausdrücklich Stellung bezieht, durchaus Gelegenheit zur Distanz. Ein Großteil der Kritik an diesem Film, der etwa vom ZDF als gewaltverherrlichend und militaristisch abgelehnt wurde, greift die zurückhaltende Arbeitsweise des 28jährigen Regisseurs an, der praktisch jeder Konfrontation im Gespräch ausweicht und den Personen lieber allen Raum gibt sich darzustellen. Dabei liegt genau hier die Stärke von „Warheads“: Nur das Vertrauen der Gefilmten in den Regisseur und in das Medium läßt sie ihre Worte überhaupt erst finden, kann Erinnerungen und Selbstbespiegelungen – in dieser Form für sie vielleicht zum ersten Mal – überhaupt erst ermöglichen. Sonst wäre eine Szene wie jene, in der Karl von Folterungen erzählt, die er durchgeführt hat, kaum denkbar.

Karmakar interessieren die gedanklichen und nicht die militärischen Operationen; daher geht solche Kritik auch am Thema vorbei. In „Warheads“ betritt er mit dem männlichen Gehirn das gefährlichste aller Minenfelder. Funktionieren kann das nur, weil der Regisseur bei jedem Gespräch die ganze Kreativität seines Gegenübers fordert und es dem Zuschauer auferlegt, die verschiedenen Bedeutungsebenen – visuelle und Tonebene, Vergangenheit und Gegenwart, Wirklichkeit und Fiktion – ständig abzugleichen und daraus Schlüsse zu ziehen.

Erst im letzten Drittel des Films drohen Bilder vom Balkankrieg überhand zu nehmen und dem Film sein vorsichtiges Gleichgewicht zu rauben. Doch in diesen Passagen wird Karmakars eher kümmerlicher Versuch, Kriegsbilder einzufangen, noch zum Glücksfall für den Film. Entgegen dem üblichen Fernsehstakkato stellt er mit minutenlangen Fahrten durch zerschossene Straßenzüge, hinter denen sich Bergketten und ein leuchtender Himmel auftun, räumliche Zusammenhänge her.

Wahrscheinlich hätte er gern mehr Granatsplitter und Gewehrfeuer vors Objektiv bekommen. So aber profitiert der Film davon, daß er zwangsläufig immer wieder auf Individuen zurückfallen muß, und verliert sich nicht in spektakulären Kriegsaufnahmen. So findet er etwa die 19jährige Münchnerin kroatischer Herkunft, die den heimischen Wohlstand gegen die Kriegsfront eingetauscht hat. Karmakar fragt sie nach ihren Hoffnungen und Wünschen, und sie beginnt zu erzählen.

„Warheads“ will nicht bloßstellen, er will auch nicht entlarven oder enthüllen, er hintergeht seine Darsteller nicht (die mit dem Produkt übrigens sehr zufrieden sind). Dafür beschäftigt er den Zuschauer unausgesetzt mit der Offenlegung subjektiver Wirklichkeit, in der Realität und Imagination, Nüchternheit und Irrsinn zu einer kaum zergliederbaren Mischung verschmelzen.

„Warheads“, Dokumentarfilm von Romuald Karmakar, Kamera: Teutsch/Merkel/Lauter/Affret; Deutschland 1991, 182 min.