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Die Anmut des Fliegenfischens

Robert Redfords dritter Film „A River runs through it“  ■ Von Gerhard Midding

Norman Macleans autobiographische Novelle „A River runs through it“ kreist um das Wort „grace“ in seiner doppelten Bedeutung von „Gnade“ und „Anmut“. Für seinen Vater, einen strenggläubigen und streng erziehenden presbyterianischen Pfarrer, kommen alle wichtigen Dinge, sei es die ewige Erlösung oder der Fang einer guten Forelle, aus der Gnade, die wiederum aus der Kunstfertigkeit entsteht. Das Angeln mit Fliegenködern ist in der Familie Maclean gleich wichtig, wenn nicht gar gleichbedeutend, mit der Religion: Die Bergflüsse Montanas sind zu ihrer Freistatt, ihrem Heiligtum geworden, zu Orten, an denen man nachsinnen kann über die Frage, wie man richtig lebt, vor allem aber darüber, wie man sich in der Kunst des Fliegenfischens vervollkommnen kann. Paul, dem jüngeren Bruder, wird zumindest letzteres gelingen. Norman, den älteren, werden beide Fragen ein Leben lang verfolgen.

Macleans Novelle steht ganz in der Nachfolge Hemingways: Eine Reihe von Anekdoten, die minutiösen Beschreibungen männlicher Rituale verdichten sich zur Erinnerung an eine idyllische Jugend, in die erste Erfahrungen mit dem Tod, der Liebe und der Fremdheit zwischen Menschen, die sich nahestehen, einbrechen. Sie wirkt wie ein Versuch, das, was einem als Heranwachsenden verwirrend und ungeordnet im Leben erschien, nachträglich literarisch zu ordnen. Es liegt eine Melancholie über diesem Versuch, die Erkenntnis, daß das Leben kein Kunstwerk ist, daß die Kunstfertigkeit und die Anmut, die der jüngere Bruder beim Fischen entwickelt, ihn nicht gegen die Tragik seines Lebens gefeit machen.

Wie läßt sich eine Novelle verfilmen, die sich mit solcher Ausschließlichkeit den Reflexionen ihres fliegenfischenden Erzählers hingibt? Wie die Armut an äußerer Handlung in das dramaturgische Gerüst eines Drehbuches fassen? Wie ihre Rätselhaftigkeit übertragen in ein Medium, das im letzten Akt alle Fragen beantwortet wissen will? Es ist erstaunlich, wie leichthändig, wie rechtschaffen konventionell Robert Redford umgesetzt hat, was nach Hollywood-Maßstäben als unverfilmbar gilt.

Die beizeiten lakonische, beizeiten ausschweifende Prosa hat er übertragen in eine lakonische Inszenierung und einen ausschweifenden Erzählkommentar. Der nostalgische Erzählgestus der Novelle hat Drehbuchautor Richard Friedenberg ermutigt, der Erziehung in Sachen Gnade und Anmut eine éducation sentimentale hinzuzufügen. Norman (Craig Sheffer) verliebt sich in Jessie (Emily Lloyd, ebenso verschmitzt wie in ihrem Filmdebüt „Wish you were here“), ein Mädchen aus der Nachbarstadt, das ihm in ihrer Sprunghaftigkeit und munteren Abenteuerlust nicht weniger unergründlich erscheint wie sein Bruder Paul (Brad Pitt). Dieser ist in der Verfilmung zu einem jungen alter ego des Regisseurs geworden, nicht nur weil Brad Pitt in manchen Augenblicken eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Redford der sechziger Jahre besitzt: eine Figur irgendwo zwischen Sundance Kid und Hubbell Gardner (seiner Rolle in „The Way we were“), in der sich Leichtigkeit, physische Anmut und Schönheit mit Verwegenheit und der Unfähigkeit, aus der eigenen Verschlossenheit auszubrechen, vermischen. Paul eignet indes eine Ruhelosigkeit, ein Hang zur Selbstzerstörung, die Redford selbst in diesem Maße nie auf der Leinwand verkörperte. Er entzieht sich dem Verständnis all derer, die ihn lieben; der Erzähltext Normans wirkt wie ein verzweifelter Versuch, das Schweigen des Bruder nachträglich zu brechen.

Dieser Melancholie hat Redford eine weitere hinzugefügt: das Bewußtsein, daß die Idylle, die der Film evoziert, nicht mehr existiert; die Welt, von der der Erzähler sagt, der Tau liege noch auf ihr, ist längst von der Zerstörung bedroht. Philippe Rousselots Kamera taucht die Bilder in warm flimmerndes Spätsommerlicht und vermag dabei weniger ihre Schönheit als vielmehr deren Vergänglichkeit zu beschwören.

„Aus der Mitte entspringt ein Fluß“ (A River runs through it) von Robert Redford, USA 1992. Mit Craig Sheffer, Brad Pitt, Emily Lloyd u.a.

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