: "Und wenn die Muslime Juden wären?"
■ Ein Gespräche mit dem amerikanischen Juden Robert B. Goldmann von der "Anti-Defamation-League" über die serbischen "Säuberungen", über deutsches Selbstverständnis, über ein Trainingsprogramm gegen...
Haben die „Säuberungen“ in Bosnien mit den „Judenrein“-Aktionen der Nazis etwas gemein? Kann man das Zusammenleben fremder Gruppen und Völker mit einem Programm an- und Vorurteile wegtrainieren? Diese Themen stehen im Mittelpunkt eines Gesprächs mit Dr. Robert Goldmann, der seit einigen Jahren als Europa- Beauftragter der „Anti-Defamation-League“ arbeitet. Goldmann, geboren 1921 in einem kleinen Dorf im Odenwald, 1940 ausgewandert nach USA, lebt heute in New York und hat lange Jahre als Journalist gearbeitet. Das Gespräch wurde in Bremen geführt.
taz: Sie sind amerikanischer Jude, und Sie sagen öffentlich: Was die Serben mit den bosnischen Moslems machen, das erinnert an die „Säuberungsaktionen“, die die Nationalsozialisten gegen die Juden durchgeführt haben. Kann man, darf man den Holocaust mit den „ethnischen Säuberungen“ vergleichen?
Robert Goldmann: Ich vergleiche nicht den Holocaust als solchen mit den Vorgängen in Bosnien: Das ist nicht vergleichbar mit der „Endlösung“. Aber es gibt wichtige und erschütternde Parallelen in der Politik der Serben, in ihrer Handlungsweise, mit der Technik des Holocaust. Ich vergleiche nicht die Einzigartigkeit des Holocaust, sondern die Methode. Zum Beispiel: die Auswahl gewisser Orte, Dörfer, Regionen zur „Säuberung“ – kalt, klar, strategisch ausgedacht. Nicht spontane Rachesituationen! Ich sehe die „ethnische Säuberung“ in bezug auf Muslime als genaue, wörtliche Parallele dazu, eine Gegend, ein ganzes Land „judenrein“ zu machen. Das ist ja die genaue Übersetzung! Leute vertreiben, töten, schänden, foltern – weil sie einer gewissen Gruppe angehören, und nicht, weil sie was getan oder unterlassen haben.
Orte wie Vukova in Kroatien dem Boden gleichzumachen – das war Lidice. Die programmierte Schändung von muslimischen Frauen mit der – jedenfalls berichteten – Absicht, das Muslimische in ihnen mit serbischem Blut zu „verdünnen“ – von dem biologischen Unsinn einmal ganz abgesehen – das erinnert an die Wahnsinnsmethoden von Mengele. Ich sage nicht, der Holocaust wird wiederholt: Es gibt dort keine Gaskammern, zumindest hat man Vergleichbares nicht gehört. Aber mit Ausnahme davon gibt es sehr, sehr vieles, was dasselbe ist.
Welche Reaktionen erleben Sie, auch von jüdischen Organisationen, auf diese Überlegungen? Das ist doch ein großes Tabu.
Wie kann man sagen „nein, das darfst du nicht schreiben“ –, was für ein Unsinn! Das Problem ist, daß man nicht daran gedacht hat, und daß man sich so auf die Einzigartigkeit des Holocaust konzentriert, daß einem gar nicht die Idee kommt, daß etwas Ähnliches nochmal passieren kann. Am Anfang hat sich unsere Organisation führend gegen die ethnische Säuberung ausgesprochen. Wir haben vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen – wir sind genau gegenüber – zusammen mit anderen jüdischen Organisationen protestiert.
Das war schon vor eineinhalb Jahren. Es ist ja immer so, daß sich alles, sogar Schlimmes, schnell einbürgert. Aber die Sensibilität besteht. Wenn ich heute so etwas sage, würde ich nicht erwarten, daß einer „Nein“ sagt – so wie der Rabbiner, mit dem ich sprach.
Daß nicht daran gedacht wird, ist eine Unterlassung, die mich sehr, sehr besorgt. Ich finde, die Juden haben eine besondere Verantwortung, wenn etwas vorkommt, das dem, was ihnen passiert ist, in irgendeiner Weise nahe kommt.
Was haben Sie denn dem Rabbiner geantwortet?
Er hat wegen Bosnien die üblichen Probleme aufgeworfen, wie sie in amerikanischen Medien dauernd vermittelt werden: daß man nach Bosnien nicht so einfach rein kann, daß das Gelände ganz schwierig ist, daß es ein zweites Vietnam werden kann – keine Ausreden, nur eben die üblichen Überlegungen, die sich einer Intervention entgegenstellen. Da hab ich gesagt: „Mal angenommen, diese Muslime wären nicht Muslime, sondern Juden ...“ Da hat er den Kopf gesenkt und nichts weiter gesagt.
Sie versuchen in Ihrer Organisation seit einigen Jahren, das Problem des Zusammenlebens verschiedener ethnischer Gruppen mit einer neuen Methode anzugehen, mit einem „Programm“ die gegenseitigen Vorurteile abzubauen. Sie sind in der BRD und auch in Bremen, um über Ihr „World of difference“ zu informieren. In Bremen und Rostock sollen diese Programme laufen. Kann man das denn abtrainieren, Vorurteile zu haben, oder geht so etwas nur in einem Land wie Amerika?
Ich bin nicht der Techniker, der das praktisch tut, und ich bin immer sehr skeptisch bei solchen Erfolgsmessungen mit mathematischen und soziologischen Methoden. Fest steht aber: Stadt nach Stadt, Staat nach Staat in den USA verlangen inzwischen danach und geben dafür Geld aus, das Training zu unternehmen. Jetzt sind schon über 100.000 Lehrer durch dieses Training gegangen.
Sie bilden Trainer aus, die ihr Wissen dann mit einem Schneeballeffekt weitergeben. Worin besteht die Philosophie, der Kern, der Witz des Ganzen?
In vielen Situationen kommen Andersartige institutionell zusammen – in Amerika muß man sagen: „Vielartige“, hier in Deutschland kann man sagen „Andersartige“ – also beim Arbeiten, Lernen, vor allem in jeder Schule, in jedem Beruf. Im allgemeinen gibt es eine Mehrheit gewisser Gruppen, obwohl auch das in Amerika oft schwer festzustellen ist. Das Training will diese Mehrheit dahingehend ausrichten, mit einer besonderen Methode, daß Anderssein positiv ist, interessant, und eben nicht schädlich, gefährlich, bedrohlich ist, sondern bereichernd. Daß man das Recht hat, auf sich stolz zu sein, egal wie man aussieht, daß man mit solchen Augen (macht sich Schlitzaugen, d. Red.) genausogut sieht wie mit solchen ...
Diese Einstellung wird hauptsächlich dadurch vermittelt, daß die Lehrer erst einmal ihre eigenen Vorurteile erkennen lernen, in einem ziemlich rigorosen Fünf-Tage-Training, und sich damit eine neue Haltung aneignen. Danach wird der Trainierte ein Trainer.
Wie kann das für Deutschland, speziell für Bremen und Rostock funktionieren?
Hier ist vorgesehen, daß für Bremen und Rostock, die Partnerstädte, zwei Projekt-Direktoren für zehn oder zwölf Tage nach Amerika kommen, durch das Training gehen, verschiedene Städte besuchen, wo das Programm läuft, mit verschiedenen Ethnien, dann zurückkommen mit zwei professionellen Trainern von unserem Institut „World of difference“ und in die beiden Städte gehen. Das Lehrpersonal wird ebenso durch das Training gehen, und dieser Kern wird dann hoffentlich der Schneeball.
Warum Ost und West? Ist das Teil oder Bedingung des Programms?
Wir waren zuerst in Rostock. Als wir dort die Sache besprachen, wurde erwähnt: Das ist nicht ein ostdeutsches Problem, das ist ein deutsches Problem. Das Logische war dann Bremen als Partnerstadt. Ich warf verschiedentlich die Frage auf: Es handelt sich um ein sehr internes sensitives deutsches Problem – und jetzt kommt eine amerikanische Gruppe, dazu noch eine amerikanisch-jüdische, die versucht, Euch zu sagen, „wie Ihr Euch zu benehmen habt“. Muß man da nicht einen Bumerang-Effekt befürchten? Das fanden sie nicht; eine Antwort war: „Lieber die Amerikaner als die Wessis ...“ Die Vorurteile Ossi-Wessi, beiderseits, sollen ein Gegenstand des Trainings sein.
Kann man denn hier ein USA- Training einfach so übernehmen? Deutschland ist doch ein ganz anderes Land und hat seine Geschichte.
Die Methode ist übertragbar, weil wir alle Menschen sind. Der kulturelle Background ist völlig anders, so daß das Material, die Beispiele, die Videos in Deutschland und auf Deutschland umgesetzt werden müssen. Aber eben so, daß sie innerhalb der Methode brauchbar sind. Das versuche ich der Bundeszentrale für politische Bildung aufzuhalsen. Wenn sie das tun können und diese Kosten aufbringen, ist das Problem gelöst.
Und wer bezahlt die Rechnung?
Diese Reise jetzt ist von mir bezahlt, zwei weitere nach Amerika von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Eine Trainer-Reise zurück nach Deutschland bestreitet die Deutsche Bank Rostock, die vierte Reise hoffe ich von der Adenauer- Stiftung zu bekommen. Ich habe auch einen Kontakt mit Daimler- Benz aufgenommen ...
Was sich spätestens am Material zeigt: In den USA sind die Rahmenbedingungen völlig anders für das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen, die Bedingungen, unter denen Menschen Fremdheit empfinden, was sie als fremd empfinden. Die USA haben eine ganz andere Philosophie als Frankreich oder Deutschland oder Italien: In die USA sind doch alle eingewandert!
Die USA bekennen sich als Einwanderungsland, das ist ein anderes Denken als in einem Land, wo die Blutlinie noch heute maßgeblich ist. Alle westeuropäischen Länder sind tatsächlich bereits Einwanderungsländer, aber im Kopf und in den Emotionen sehen sie Homogenität als ihre Hauptcharakteristik. Als „andersartig“ sehen sie einfach die Ausländer. Wollte man das in Amerika so tun, würde das Land sofort auseinanderbrechen. Ich vergleiche Amerika mit der Schweiz, auch ein gewolltes Gebilde, mit dem Vorsatz, dem Eid, diesen Staat so zu wollen, und darauf beruht der ethnische Friede dieses Vier-Völker-Staates.
Mit der Idee Schmelztiegel New York ist doch schon lange Schluß.
Schmelztiegel gab's nie, das war so eine Idee. Es gibt Pluralismus im Gegensatz zu Multikulturalismus. Pluralismus ist die Grundlage Amerikas: ein Staat, eine Gesellschaft, in der alle, die drin sind – idealerweise – gemeinsame Werte und Loyalitäten teilen, und auf dieser Grundlage, auf eigene Faust als Gemeinde, als Gruppe, als Familie ihre eigenen kulturellen Gepflogenheiten pflegen – übrigens auf eigene Kosten!
Kein Amerikaner ist stolzer darauf, Amerikaner zu sein, als der, der in der Parade an der Fifth Avenue mit der italienischen Flagge und der amerikanischen oder der griechischen oder der iranischen die Fifth Avenue heraufmarschiert. Das ist Pluralismus!
Als ich zwei Jahre in Frankreich lebte, sagte ich zu meiner Frau: Ich kann mir nicht vorstellen, mit griechischen oder anderen Flaggen die Champs-Elyssées hinaufzumarschieren ... In Amerika ist das Gefühl: Ich kann hier hochkommmen und ich bin genauso gut wie der Ire next door oder der Jude da drüben – mit den Schwarzen gibt es ein anderes Problem, das ist noch lange nicht gelöst.
Im Multikulturalismus andererseits wird das Gemeinsame unterbetont, das eigene oft künstlich hochgetrieben; der Geist ist, eine Gruppe von der andern zu trennen, Wände aufzubauen – und vom Staat zu verlangen, daß er das noch unterstützt – zum Beispiel durch bilingualen Unterricht. Wenn früher bei den traditionellen Immigranten die Kinder nach Hause kamen und auf italienisch oder jiddisch sprachen, haben die Eltern mit riesigem Akzent gesagt: „Aren't you learning english in school? Talk english! You want to get some place?“ Heute werden Kinder, die schon Englisch sprechen und Spanisch kaum noch können, in bilinguale Klassen gesteckt, nur weil sie einen spanischen Vornamen haben.
Sie sehen darin einen Sprengsatz gegen das „Amerikanische“.
Darin sehe ich große Gefahren, aber: we shall overcome, glaube ich.
Wir in Europa haben im Gegensatz zu den USA so eine schöne „common philosophy“ nicht, wir Deutschen erst recht nicht.
Ihr habt einen weiten Weg, und ihr könnt nicht Amerika werden. Ihr braucht einen eigenen Weg. Aber Deutschland, Frankreich, die in der Tat Einwandererländer sind, müssen sich ihre eigene Form des Pluralismus schaffen und von der Idee der Homogenität, die schon lange nicht mehr existiert, wegkommen. Als ich jung war und vor der Auswanderung, mit siebzehn, achtzehn Jahren in Frankfurt auf der Zeil rumhing, und heute dort rumgehe – dann ist die Zeil heute ähnlicher der 3rd Avenue in New York als der Zeil aus meiner Jugend.
Erörterungen über Einwanderungsländer haben immer praktische Seiten. Wie beurteilen Sie – als Emigrant – die Frage nach Einwanderergesetz, Quotierung, Staatsbürgerschaft? Wie wichtig ist das für die Chance verschiedener Gruppen oder Ethnien, zusammenzuleben?
Wie wir sagen: There is no free lunch! Für alles muß bezahlt werden. Wenn sich in Deutschland die Idee durchsetzt, daß Sie ein Einwanderungsland sind, daß „Ausländer“ hier nicht in der zweiten, dritten Generation „Ausländer“ bleiben können, daß die Blutlinie nicht auf die Dauer das Kriterium sein kann für Einbürgerung – dann gehört es dazu, daß ihr Quoten macht. Man kann nicht verlangen, daß ein Land unbegrenzt Leute zuläßt. Man kann auch nicht Leute endlos zulassen, weil man ein schlechtes Gewissen hat, und dann aber nicht die Strukuren aufbauen, damit sie leben können.
Das Gespräch führte Susanne Paas
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