: Von der Titte zum Sack
Premiere des Theaterstücks ■ Sexual Perversity in Chicago
Ein Tresen, eine Couch, zwei Kinosessel und ein Bett sind als Schauplätze im Cafe des Theaters in der Basilika verteilt. Mit Glück sitzt man so, daß mit einigen Halsverrenkungen alle vier Orte irgendwie eingesehen werden können. Wer nun mit der Erwartung an besonders schmutzige oder raffinierte Spielarten der Liebe erschienen war, wurde von Sexual Perversity in Chicago allerdings enttäuscht. Die dargestellte Perversion war nicht mehr — aber auch nicht weniger — als der alltägliche Machismus in komprimierter Form.
„Wenn du eine flachlegen willst, mußt du sie am besten wie Scheiße behandeln.“ Ober-Macho Bernard verrät seinem Freund Danny das Geheimnis seines Erfolges. Sein Lebensziel ist schnell erzählt: „Zur Mitte, zur Titte, zum Sack, zack, zack!“ Aber während Bernard seine Geschichten von immergeilen Frauen in brennenden Hotelzimmern immer nur am Stammtisch erlebt, landet der tolpatschige Danny tatsächlich im Bett. Deborah heißt seine Angebetete, der er nach einigen Verrenkungen sogar gestehen kann, daß er sie liebt. Die Beziehung trübt Dannys Freundschaft mit Bernard, genauso wie Deborah sich mit Joan entzweit, eine Frau, die für sie mehr als nur eine Freundin war.
Das Spektakel lebt von seinen scharfen Pointen genauso wie von den Schauspielern und Schauspielerinnen. Mit sichtbarem Spaß am Spiel vollbringen sie wahre Glanzleistungen, indem sie die zotige Geschichte mit wohldosierter Würze versehen. Wer würde Boris Freytag als Danny nicht abnehmen, daß er gerade mit Deborah (Karen Böhme) einen Höhepunkt erlebt hat – treten ihm doch vor lauter Stolz fast die Augen aus den Höhlen. Und Deborahs vorgetäuschter Orgasmus kann sich durchaus mit dem allseits bekannten Vorbild im Film Harry und Sally messen.
Sexual Perversity in Chicago ist eine Anhäufung gängiger Stammtischparolen über Frauen, Lesben
1und Schwule. Das geneigte Publikum erfährt zudem Antworten auf die überaus wichtigen Fragen, wie ein Erguß schmeckt und wie man sich fühlt, wenn man einen Penis hat. Der inflationäre Gebrauch der Wörter „Votze“ und „Titten“ läßt sich ertragen, wenn man die satirische Idee dahinter entdeckt: Kritik durch Übertreibung. Dabei lassen einige Szenen durchaus erkennen, daß der Autor ein Mann ist. Etwa, als er die von Bernard übelst beschimpfte Joan reumütig zu ihm zurückkehren läßt. Aber David Mamet schreibt auch mit gehöriger Distanz zu seinen Geschlechtsge-
1nossen, als würde er selbst sich überhaupt nicht für Frauen interessieren.
Ein bitterer Beigeschmack bleibt die Erkenntnis, daß es dies alles auch in Wirklichkeit gibt. Sogar das Happy-End bleibt aus. Als die Beziehung mit Deborah scheitert, fällt der zum Softie mutierte Danny in seine Machorolle zurück. Und gibt dem Publikum ein Rätsel mit auf den Heimweg: Welches sind die drei Lieblingstiere der Frauen? Werner Hinzpeter
Weitere Vorstellungen: heute, 13. - 15., 20. - 22., 27. - 29. Mai, jeweils 21.45 Uhr
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