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ÖTV fordert Einlaufverbot für Seelenverkäufer

■ Gewerkschaft fordert rigoroses Vorgehen gegen Billigflaggenschiffe / 62 Prozent der Havaristen fuhren unter Billigwimpel

/ 62 Prozent der Havaristen fuhren unter Billigwimpel

Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und Verkehr (ÖTV) hat eine radikale Wende in der Schiffahrtspolitik und ein generelles Einlaufverbot für Billigflaggenschiffe in deutsche Seehäfen gefordert. Das erklärte ÖTV-Schiff-

fahrtsexperte Dieter Benze gestern zum Abschluß des Internationalen Transportarbeiter Kongresses (ITF) in Hamburg. Benze: „In den vergangenen Jahrhunderten haben Piraten Seeleute und Küstenbewohner in Angst und Schrecken versetzt. Die Rolle haben Billigflaggenschiffe mit niedrigen Sicherheitsstandards heute übernommen.“

Nach ÖTV-Auffassung hat sich damit auch die Rolle der Reeder und Eigner gewandelt. Seien sie einst „Opfer“ gewesen, wären sie jetzt zu „Schreibtischtätern“ avanciert. Vom neuen Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann fordert die ÖTV daher eine „grundlegende Kurskorrektur in der Schiff-

fahrtspolitik in Richtung mehr Sicherheit“. Benze: „Die meisten Billigflaggenländer sind nicht willens oder in der Lage, internationale Mindestsicherheitsstandards zu garantieren. Solchen Schiffen muß der Zugang zu europäischen Häfen verwehrt werden.“

Wer weiterhin nichts gegen die zunehmenden Risiken von Billigflaggenpötten unternimmt, trägt laut Benze an Schiffs- und Umweltkatastrophen Mitverantwortung. Denn von den weltweit 111 Schiffsuntergängen im vorigen Jahr waren 62 Prozent der Havaristen Billigflaggenschiffe, ihr Anteil an der Welthandelsflotte beträgt aber „nur“ 39 Prozent.

Nach ÖTV-Meinung reicht die vom Bundesverkehrsministerium angedachte Verschärfung der Schiffskontrollen in den Seehäfen allein nicht aus. Kontrollen in fremden Häfen könnten nicht die fehlenden nationalen Sicherheitskontrollen in den Billigflaggenstaaten ersetzen. Benze: „Vor Anlaufen eines europäischen Hafens könnte ein Unglück wegen technischer Mängel oder menschlicher Überforderung bereits auf dem offenen Meer oder in Küstennähe passieren — mit allen schrecklichen Folgen für Menschen und Umwelt.“

Gesetzlich zwingend müsse daher ein Auslaufverbot für see- und fahruntüchtige Schiffe verankert werden. Benze: „Allein im vorigen Jahr ist mindestens drei Schiffen trotz gravierender Sicherheitsmängel das Auslaufen aus dem Hafen Hamburg zu billigeren Werften erlaubt worden.“ Grund: Die Klassifizierungsgesellschaften (TÜV) hatten Unbedenklichkeitsbescheinigungen für die Weiterfahrt ausgestellt, obwohl die Seeberufsgenossenschaft vorher die See- und Fahruntüchtigkeit attestiert hatte.

Die Gewerkschaft warnt überdies Bonn vor einem Verzicht auf eine eigene Handelsflotte. Aktueller Anlaß: Die Pläne der „Treuhand“, 83 Schiffe der Rostocker Ex-DDR-Staatsreederei „DSR“ auszuflaggen. Dadurch würden nicht nur Arbeitsplätze in der Seefahrt, sondern auch „maritimes Know- how“ verloren gehen.

Schon jetzt gebe es Schwierigkeiten, leitende Positionen an Bord mit deutschen Seeleuten zu besetzen. Während in den siebziger Jahren 1000 junge Seeleute pro Jahr nautische Patente erwarben, haben sich im Jahr 1991 nur noch 150 Seeleute um dieses Zertifikat bemüht. Und der Ausflaggungs-Trend dauert an. 120 Schiffe hätten 1992 „schwarz-rot-gold“ abgelegt, auf 30 weiteren deutschen Schiffen wehen seit Jahresanfang die Flaggen von Panama und Liberia. Kai von Appen

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