: Light und Luxus auch für Hamstermägen
■ „Vitakraft“ bietet 3.500 Produkte an — aber keine Hundezahnpasta / Tiere sollen sich das Futter erarbeiten
„Naschi — die himmlische Verführung für verwöhnte Hundegaumen“ — nun hat die Premium-Welle auch die Futtermittelbranche erreicht. Light-Produkte für verfressene Hunde und Katzen gibt es schon länger. „In“ sind derzeit Snacks, die kleine Knabberei für zwischendurch. Belohnungsfutter nennt Rainer Kunze die Snacks. Kunze ist Marketing-Fachmann beim Vitakraft-Werk im Gewerbegebiet Bremer Kreuz.
Doch mit einer „Lila Pause“ habe ein Joghurt-Drops für Hamster ansonsten nichts gemeinsam, es sei schließlich zukkerlos, eben „artgerecht“ — Kunzes Lieblingswort. Kräcker für Vögel und Nager sind derzeit der Verkaufsschlager bei Vitakraft: Getreide mit Honig, Ei, Kiwi oder Mango versetzt. Knabbern sei wichtig für die Tiere, sagt die Öffentlichkeitsarbeiterin Gisela Reinken: „Sie sollen ja nicht vor dem Napf sitzen und sich nur vollfressen, sie sollen sich das Futter selbst erarbeiten.“
Fast jeder dritte deutsche Haushalt hält mittlerweile ein Heimtier: rund 7 Millionen Vögel, 5 Millionen Katzen, nicht ganz 5 Millionen Hunde und 3 Millionen Nager bevölkern deutschen Wohnungen. Im Vergleich zu Frankreich und den Niederlanden ist das noch wenig. Doch außer bei den Katzen stagniert die Heimtierpopulation in der Bundesrepublik. Das liegt am veränderten Freizeitverhalten, weiß Rainer Kunze: Bei mehreren Kurzurlauben im Jahr werde ein Tier zur Belastung. Nur in den neuen Bundesländern werden Heimtiere gekauft und gekauft. Kunze kann das gut verstehen: Ein Heimtier könne ja auch ein bißchen ablenken in schwierigen Zeiten.
Rund 20 Millionen Heimtiere wollen in Deutschland gefüttert werden. Vitakraft ist im Bereich Vögel und Nager Marktführer. Trocken-und Naßfutter für Hunde und Katzen hat man nur zur Abrundung des Sortiments von insgesamt 3.500 Produkten. Bei Vitakraft ist man stolz darauf, eines der letzten Familienunternehmen in Europa zu sein. Alle anderen gehören zu multintionalen Konzernen. Vitakraft beschäftigt 2500 Menschen, davon 1000 in der Bremer Zentrale.
Ausgelacht hat man den jungen Vitakraft-Gründer Wührmann, als er in den 40er Jahren Körnerfutter nicht mehr aus dem großen Sack verkaufte, sondern abpackte und als Markenartikel anbot. Das Herz mit der Aufschrift „Mit Liebe füttern“ hat er sich damals wohlweislich patentieren lassen. Seitdem nämlich ist der Markt der Heimtierbranche immens gewachsen: Hunde und Katzen werden heute in erster Linie nicht mehr als Nutztiere gehalten und mit Küchenabfällen abgespeist, sondern von mittlerweile 80 Prozent der HeimtierhalterInnen als vollwertiges Familienmitglied betrachtet. Und dem Familienmitglied Hamster steht dann auch ein Dessert zu: „Naturmenue mit Beutetierchen“.
Mit dem emotionalen Verhältnis wuchs auch der Markt für „Bedarfsartikel“: Hamsterräder, schicke Leinen, Abenteuerkäfige, Pflegesprays ... Hundekotschaufeln allerdings ist man bislang noch nicht in nennenswerter Menge losgeworden.
Vitakraft stellt aber nicht alles selbst her, sondern verpackt viele Produkte nur und verkauft sie unter dem Vitakraft-Label. Mückenlarven zum Beispiel für die „Weichfresser“ Beo und Nachtigall kommen tiefgefroren aus Südostasien. Die Kolbenhirse wird vor allem aus China importiert, die Sonnenblumenkerne wachsen in Bulgarien.
Ob die Mischung den Tieren dann auch schmeckt, testet Vitakraft nicht in einem eigenen Zoo, sondern an einer festen KundInnen-Gruppe, die man über Briefe und Preisausschreiben kennengelernt hat. Überhaupt ist der Kontakt mit den Tier-HalterInnen recht eng: Um die Flut von brieflichen Dankeschöns und Fragen, von Zeichnungen und Fotos zu bewältigen, ist eigens eine Abteilung eingerichtet worden. Die erteilt zum Beispiel Pflegetips: Dem Sittich einfach die „Sprech-Perlen“ vor den Latz zu knallen, erfährt man von Rainer Kunze, reicht nicht aus. „Sie müssen sich schon jeden Tag mit dem Sittich beschäftigen.“
So viele Produkte Vitakraft auch anbietet — gewissen Heimtierhalter-Wünschen setzt der Marketing-Fachmann ein klares Nein entgegen: Hundedeckchen zum Beispiel findet er völlig überflüssig. Und bei Hundezahnpasta, wie es sie in den USA zu erwerben gibt, kann er sich nur noch mit Grausen abwenden.
Christine Holch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen