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Der nimmermüde Missionar

Robert Jungks Autobiographie kommt rechtzeitig zu seinem 80. Geburtstag: „Trotzdem“  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Sein Blick geht über die Zuschauer hinweg, in die Zukunft. Robert Jungk missionierte kürzlich in der Berliner Urania gegen die depressive Stimmung, der die Nachdenklichen im Land zu verfallen drohen. Missionieren ist vielleicht auch die beste Überschrift für das, was Jungk noch in seiner Autobiographie versucht. Auf 540 Seiten schildert ein Jahrhundertmensch, wie er sich bemüht, andere zu überzeugen, er schreibt von seinem „frevelhaften Optimismus“ (Anders), von seinem Scheitern und den Verwundungen. Seine Hoffnung: „Das eigene Ende ist unvermeidlich, aber von jedem kreativen, aktiven Menschen geht ein Anstoß aus, der auf unvorhersehbare Weise in die Zukunft weitergeleitet wird.“

Das Buch ist wie Jungk selbst. Rastlos und aphoristisch. Wer den dicken Wälzer von vorne bis hinten liest, wird im Parforceritt durch achtzig Jahre Leben und mehrmals rund um den Globus gehetzt. Der zeitweise beschäftigtste Vortragsredner Europas will möglichst viele der Hoffnungen und der ihn hoffnungsvoll stimmenden Begegnungen noch einmal Revue passieren lassen, sich selbst bestätigen, daß er doch recht gehabt hat im Streit mit seinem alten Freund, dem Pessimisten Günther Anders.

Die Autobiographie läßt sich aber auch anders lesen. In dem Buch steckt eine Enzyklopädie guter Ideen, ein Zettelkasten der Hoffnungen und neuen Ansätze. Projekte wie die Ökostadt Basel oder in den sechziger Jahren die Idee des sympathischen Architekten Buckminster Fuller, der Versuch, per Computer die erfaßbaren „materiellen und intellektuellen Quellen“ des Planeten zu ordnen, eine Idee, die sich später in den Studien zu den „Grenzen des Wachstums“ und im „Global 2000“-Bericht des US-Präsidenten Jimmy Carter wiederfand.

Und dann läßt sich das 540-Seiten-Werk auch lesen als Aufforderung zum kompromißlosen Einsatz für andere Menschen. Jungk beschreibt seinen harten Kampf für den sanften Weg. Dabei hat der Journalist und Schriftsteller Jungk Zeit seines Lebens den Glauben an die Kraft des (eigenen) Wortes nicht verloren. Eine der erhellensten Episoden für den handelnden Wortmenschen Jungk ist seine Teilnahme an der Demonstration einiger hundert junger Studenten 1972 in Salzburg gegen die amerikanische Vietnampolitik. Henry Kissinger und Richard Nixon flogen zu Gesprächen in Salzburg ein. Demonstrant Jungk wollte, durch Vermittlung eines britischen Freundes, dem US-Außenminister auch persönlich begegnen. Ein gemeinsames Abendessen mit Kissinger sei geplant gewesen, schreibt Jungk. Doch demonstrieren und dann parlieren, das war selbst für die hartgesottenen Amerikaner zuviel. Nach der Demonstration, bei der Jungk von der Polizei zusammengeschlagen wurde, sagte das State Department bei dem Protestler kurzerhand ab.

Von solch roher Staatsgewalt berichtet Jungk auch einmal an früherer Stelle. 1933 wird der noch nicht zwanzigjährige linke Student an der Berliner Humboldt-Universität von Nazi-Schergen festgesetzt. Nur durch Vermittlung eines Freundes, der ihn in brauner SA- Uniform aus dem Knast holt, kommt Jungk wieder frei – und emigriert. Zunächst in die Schweiz und dann nach Paris. Aber die Flucht allein war seine Sache nicht. Jungk konnte im Exil nicht ruhig vor sich hin studieren, er war schon damals ein Agitator – im positiven Sinne. Er wird Journalist.

Jungk beschreibt sich – nicht ohne Eitelkeit – als eine wichtige Quelle der Berichterstattung über Deutschland, wichtig genug jedenfalls, daß die neutralen Schweizer den ungeliebten Weltwoche-Autor in die deutsche Heimat abschieben wollten. Ein für den Juden Jungk tödliches Vorhaben, das nur Schutzengel, denen er Zeit seines Lebens wohl mehrfach begegnete, verhindern konnten.

Dem Kampf gegen die Nazis folgte nicht nur in der Biographie der Kampf gegen die neuen tödlichen Technologien, allen voran gegen die Atomkraft. Vierzig Jahre Auseinandersetzung kulminierten– auch für Jungk selbst – in jener denkwürdigen Rede vor der Hanauer Atomfabrik 1986. Damals, kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl – sein streitbarer Freund Günther Anders hatte politische Gewalt schon für notwendig erklärt –, entfleuchte dem pointenverliebten Journalisten und Redner Jungk der Schlußsatz: „Macht kaputt, was Euch kaputtmacht.“ Die Staatsmacht sah sich bedroht und klagte den über Siebzigjährigen der „Volksverhetzung und des Landfriedensbruchs“ an. Der Atomstaat aber war durch Tschernobyl erschüttert, das Verfahren lief sich tot. Nur die Deutsche Verlags-Anstalt strich dem „Ayatollah von Salzburg“, wie ihn die rechte Presse nun schimpfte, seine regelmäßige Kolumne in der Zeitschrift Bild der Wissenschaft.

Die Skepsis gegenüber dem Staat, gegenüber der Technik und der Glaube an den Menschen sind ihm geblieben. Geblieben sind aber auch deutliche Verletzungen aus den politischen Auseinandersetzungen. Viel Bitterkeit klingt durch, wenn Jungk von seinen Begegnungen mit Carl Friedrich von Weizsäcker schreibt. Jungk, der manchmal naive Optimist, fühlt sich von Weizsäcker getäuscht. Der habe sich selbst und die Atomforscher der Nazis um Heisenberg als gute Menschen, als Widerstandskämpfer gegen Hitlers Bombe beschrieben.

Persönliches spielt ansonsten nur zu Beginn des Buches eine Rolle. Der in Berlin geborene Jude Jungk beschreibt sich als Zoon politicon. Das Private, die vierzig Jahre mit seiner Frau Ruth, sie bleiben privat. Nur einmal in der Beschreibung der vergangenen drei Jahrzehnte schimmert Persönliches heftig durch. Es ging um seinen Sohn: Jungk verließ Berlin Anfang der siebziger Jahre, weil sein jugendlicher Sohn Peter in der Metropole begonnen hatte zu kiffen. Eine Professur habe er damals auch deswegen ausgeschlagen, schreibt Jungk. Die Familie zog um nach Salzburg, wo sich der „Burschi“ „nicht mehr mit dem Kreis seiner Drogenfreunde treffen konnte“. Ob's geholfen hat, ist dann nicht mehr überliefert.

Ob vorne, hinten, in der Mitte: In jedem Kapitel kann man wieder neu beginnen, neue Hoffnung schöpfen und von neuen interessanten Menschen erfahren. Das Buch entspricht Jungks derzeitiger Hauptbeschäftigung, seiner „Internationalen Bibliothek für Zukunftsfragen“. Getreu dem heimlichen Motto des Journalisten Jungk: „Indem du dein Wissen mit anderen teilst, verlierst du es nicht, es wird auch nicht weniger, sondern es zieht anderes Wissen an.“ Im persönlichen Gespräch räumt der fast Achtzigjährige (am 11.5. ist's soweit) ein, daß viele der kleinen Hoffnungspflanzen, der Projekte für eine bessere Zukunft, nach einigen Jahren wieder eingehen. Wer aber so rastlos sucht, findet immer neue.

Robert Jungk: „Trotzdem – Mein Leben für die Zukunft“. Hanser Verlag, München 1993, 552 Seiten mit 20 Fotos, 49,80 DM

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