■ Tour d'Europe: Dampfbadgrenze
Wäsche gewaschen haben Frauen überall am liebsten gemeinsam – bis zur Verbreitung der Waschmaschine. Während bei uns nur noch Straßennamen wie „Bleichwiesen“ an die Auslagerung des Waschens aus dem eigenen Haus erinnern, werden in manchen portugiesischen Dörfern noch heute in den Waschhäusern, durch die der Dorfbach geleitet wird, die Familienklamotten gewaschen und danach zum Trocknen ausgelegt. Was die Reinigung des Körpers angeht, zieht sich hingegen eine unsichtbare Grenze durch Europa. Von der Türkei über Ungarn und Rußland bis hin nach Österreich reicht die Tradition der öffentlichen Dampfbäder, die eine ähnliche soziale Funktion einnehmen wie in den Mittelmeerländern die Piazza. Wie diese sind es Orte der – wenn auch gleichgeschlechtlichen – Kommunikation ohne Zeitdruck und außerhalb des Berufslebens. Das öffentliche Bad dient nicht nur der Säuberung des Körpers, sondern auch seiner Erhaltung und der Heilung seiner Gebrechen – die Masseure des Bades übernehmen häufig auch medizinische Aufgaben.
Ähnlich arbeitete im deutschen Mittelalter der „Bader“, der Blutegel setzte und zur Ader ließ, bis die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten und die Inquisition den – hier gemischtgeschlechtlichen – Gemeinschaftsbädern den Garaus machten. Diesseits der Dampfbadtrennungslinie wurde die Reinigung des Körpers in die eigenen vier Wände verlegt. Innerhalb der Grenzen des trauten Heims existierte ein „Badetag“ (zumeist der Samstag), an dem extra ein Feuer zwecks Gewinnung heißen Wassers entfacht wurde. Das Baden fand zumeist in der Küche statt. Ende des vergangenen Jahrhunderts wurden im Rahmen eines zunehmenden Bewußtseins von „Volkshygiene“ in Großstädten zunehmend öffentliche Badeanstalten gebaut, denen jedoch sowohl der soziale als auch der gesundheitserhaltende Charakter der nordöstlichen Dampfbäder fehlte. Eine eigentümliche Entwicklung hat in diesem Zusammenhang die Toilette durchgemacht. Vom öffentlichen Raum – dem Feld oder dem Misthaufen – zunächst in eine kleine Hütte auf der anderen Seite des Hofs verbannt, wurde in diesem Jahrhundert dieser Ort für die stinkenden Ablagerungen zunehmend dem Wohnort angenähert. Als Anbau ans Haus oder als Kabuff an einem Außenbalkon wurde die Toilette in gewisser Weise gesellschaftsfähig. Erst nach der Einführung von Wassertoiletten, die die bisher üblichen Geruchsbelästigungen erheblich dezimierten, wurde das Klosett in den Raum verlegt, der ursprünglich der Körperreinigung vorbehalten war. Auch hier bleibt die Dampfbadtrennungslinie übrigens erhalten: Wo das öffentliche Gemeinschaftsbad seine Funktion noch erfüllt und nicht von Bädern westlicher Art ersetzt wurde, sind die Toilette und der Ort für die – tägliche – Waschung weiterhin getrennt.ant
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