■ Bonn-apart: Paul Krüger: Der Anti-Krause
Bonn (taz) – Eine Kollegin, eine einzige in Bonn, hatte es vorher irgendwie geahnt. Schon vor Wochen raunte sie: „Der könnte es werden!“ Gäbe es diese Kollegin nicht, wir hätten den Namen Paul Krüger am Donnerstag abend das erste mal gehört. Es hätte uns ebenso „kalt getroffen“, wie den neuen Forschungsminister nach eigenen Worten am Donnerstag vormittag der Anruf des Kanzlers erwischte. Krüger wörtlich: „Das hat mich vom Stuhl gehauen.“ Ach, wie der Kanzler über beide Backen strahlte, als er am Donnerstag abend seinen neuen Günstling diese Worte sagen hörte.
Kohl liebt es, Menschen glücklich zu machen. Besonders dann, wenn er dies damit verbinden kann, Journalisten zu überrumpeln und in die Verzweiflung zu treiben. Nicht, daß wir seinerzeit den Hinweis der Kollegin besonders ernst genommen hätten. Ein Handarchiv über Paul Krüger hatten wir jedenfalls nicht angelegt. Paul Krüger: Der große Unbekannte.
In Kürschners Volkshandbuch des Deutschen Bundestages erfahren wir folgendes: Paul Krüger, 43 Jahre alt, Dr. Ing., Dreher und Verfahrenstechniker, seit 1989 CDU-Mitglied, vor der Wende 23 Jahre FDGB-Mitglied. Wahlkreis in Neubrandenburg. Paul Krüger: Offenbar keine Blockflöte.
Neubrandenburg also, der Heimatort des Dopingwunders Katrin Krabbe. Dies erweist sich sogleich als erste heiße Spur. Nach einem Gang ins Archiv stellen wir fest: Krüger bezweifelte im Februar 1992 im Sportausschuß die Stichhaltigkeit der Doping-Vorwürfe. Paul Krüger: Ein guter Lokalpatriot.
Wir lesen weiter. Obgleich römisch-katholisch, sammelte er im Juni 1992 einige dutzend Unterschriften von Fraktionskollegen für eine Liberalisierung des Unionsentwurfs für den Paragraphen 218. Paul Krüger: Ein Vertreter ostdeutscher Interessen.
Wir fragen Abgeordnetenkollegen. Seit Beginn der Legislaturperiode sitze er im Forschungsausschuß, heben Unionskollegen seine Fachkunde hervor. Für die darniederliegende Forschung im Osten werde er sich besonders einsetzen. SPD-Abgeordnete dagegen klagen: Im Ausschuß habe er sich kaum mal zu Wort gemeldet. Paul Krüger: Ein stiller Experte.
Krüger kommt, das steht fest, aus Mecklenburg-Vorpommern. Aber ist er nun Mecklenburger oder Vorpommer? Die Dame in der Bonner Landesvertretung von Mecklenburg-Vorpommern (Sie meldet sich mit: „Hier Landesvertretung Sachsen, äh...“) fragt sich in ihrem Haus durch, um schließlich freudestrahlend durchs Telefon zu rufen: „Ich hab's! Neubrandenburg liegt in Mecklenburg-Vorpommern.“
Herzlichen Dank. Weitere Recherchen ergeben: Krüger ist ein Vorpommer. Oder heißt es Vorpommerer? Und warum ist er uns eigentlich bisher nie aufgefallen? Ein ostdeutscher Fraktionskollege verrät uns auch dieses Geheimnis: „Er hatte keine Skandale.“ Paul Krüger: Der Anti- Krause. Hans-Martin Tillack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen