: Erst brennen die Bücher
■ Heute vor sechzig Jahren verbrannten die Nazis auf dem Spielplatz Nordstraße im Bremer Westen „undeutsches“ Schrifttum
“Es war kurz vor Einbruch der Dunkelheit: Mein Vater hatte mich losgeschickt, noch Fische auszutragen. Ich lief durch die Straßen und sah plötzlich ganz in der Nähe Flammen aufflackern — auf dem Spielplatz in der Nordstraße, meinem Spielplatz, auf dem ich seit meinem fünften Lebensjahr in jeder freien Minute herumgetollt war. Neugierig schlich ich mich näher heran.“
Horst Hackenbroich wurde Augenzeuge eines politischen und kulturellen Infernos: Am 10. Mai 1933 — heute vor 60 Jahren — brannten in ganz Deutschland Bücher. Im Zuge ihrer „Säuberungswelle“ zelebrierten die Nationalsozialisten eine „Aktion wider den undeutschen Geist“ und warfen die Werke jüdischer, marxistischer und pazifistischer SchriftstellerInnen ins Feuer. Zerstört und ausgelöscht werden sollte „unsittliches und undeutsches, schädliches und unerwünschtes“ Schrifttum. Darunter fielen nach Ansicht der Nationalsozialisten über 12.000 Titel von rund 150 AutorInnen; ganz oben auf der Liste der Verfemten standen Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig, Egon Erwin Kisch, Carl von Ossietzky.
In Bremen hatten der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, der „Kampfbund für deutsche Kultur“ und die Hitlerjugend die Bücherverbrennung am Spielplatz Nordstraße , der heutigen Bürgermeister- Deichmann-Straße, organisiert. „Als ich dort ankam, standen da zwischen 20 und 30 Mann“, erzählt Horst Hackenbroich, „Uniformierte der SA, Zivilisten und Studenten. Unter Buh-Rufen und lautem Gebrüll von Kraftausdrücken und Schimpfworten warfen sie ein Buch nach dem anderen mit den Worten 'ich übergebe dem Feuer' in die Flammen.“
Verstohlen machte sich der damals 18-Jährige davon; er hatte selbst die Aggression der Nazis zu fürchten. Horst Hackenbroich ist „Halbjude“, denn seine Mutter ist jüdischer Abstammung. Die Eltern führten ein Fischgeschäft im Bremer Westen. Ein Flugblatt mit dem Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte, das die Nazis wenige Wochen zuvor im Stadtteil verteilt hatten, brachte auch den Laden der Hackenbroichs in Mißkredit. „Mein Vater hat sich sogar noch dagegen gewehrt“, erinnert sich Horst Hackenbroich, „was aber natürlich überhaupt nichts nutzte.“ Viele jüdische Freunde aus der Umgebung waren schon verhaftet und in das KZ „Mißler“ in Findorff gebracht worden, das am 1. April 1933 errichtet worden war.
Horst Hackenbroich weiß noch zu gut, wie seine Angst an jenem Maiabend wuchs; er sah seine schlimmsten Ahnungen verwirklicht. „Hier brannte ein Stück deutsches Kulturgut, ich fürchtete das, was Heinrich Heine später so treffend formulierte: 'Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen'.“
Ganz gezielt war nach Hackenbroichs Ansicht der Spielplatz für das Bücherverbrennungs-Spektakel gewählt worden: Während des 1. Weltkrieges hatten dort Kundgebungen gegen Hunger und Krieg stattgefunden, und am 4. März 1933 protestierten an genau dieser Stelle 30.000 AntifaschistInnen gegen die Ermordung von Johannes Lücke, Mitglied der SPD-Organisation „Reichsbanner“. Am Tag nach der Bücherverbrennung berichteten die „Bremer Nachrichten“ von „großer Beteiligung seitens der Bevölkerung“ und „Tausenden von Zuschauern“, die gekommen waren und Dr. Adolf Seidler vom „Kampfbund für deutsche Kultur“ beipflichteten, „daß der Kampf geführt werden müsse gegen den Feind im Innern, gegen den undeutschen Geist, gegen Juda, das Deutschland mit einer Fülle von Schund und Schmutz überschüttet habe“.
Über fünfzig Jahre später wurde auf dem Gelände des Spielplatzes an der Nordstraße zum Jahrestag der Kristallnacht, am 9. 11. 1984 ein Gedenkstein aufgestellt. Silvia Plahl
Zum Jahrestag der Bücherverbrennung finden heute einige Veranstaltungen statt; siehe Tagesprogramm.
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