: Die falsche Sehnsucht nach Wolkenkratzern
Was wird aus dem Alexanderplatz? Statt Perspektiven der Stadtentwicklung bieten die Entwürfe des „Städtebaulichen Wettbewerbs“ naive Spielereien vom Reißbrett / Perspektiven auf das Umfeld bei der weiteren Planung ■ Von Rolf Lautenschläger
Berlin. Die Perspektive, mit der zur Zeit über die städtebauliche Umgestaltung des Alexanderplatzes debattiert wird, erinnert ein wenig an den kaum zwei Jahre alten Streit um den Potsdamer Platz. Es geht um Formen und Höhen, Stadtneubau und Visionen – nicht um Funktionen, Nutzungen, den öffentlichen Raum, den Verkehr oder einfach den Weiterbau der östlichen City. Der Alexanderplatz, so war auf den drei Diskussionsveranstaltungen „Rund um den Alex“ zu vernehmen, ist ein mythischer Ort des Kommerzes und der Mobilität. Geradezu magisch bewegt er noch heute Fußgänger und Händler. In seinem unterirdischen Rund überschneiden sich die U-Bahn-Linien, über ihm sausen die S-Bahnen, um ihn herum brausen die Automobile. Fazit: Als moderne bauliche Chiffren des alten wie neuen Mythos – wie kann es anders sein – taugen nur gigantische Hochhäuser.
Vielleicht, das ist eine Vermutung, werden die mythischen Begriffe und „Dimensionen der Weimarer Zeit“ (Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer) nur deshalb bemüht, weil die ersten Bilder und Visionen des „Städtebaulichen Wettbewerbs Alexanderplatz“ mit der Wirklichkeit Berlins wenig gemein haben. Ungehemmt war die Sehnsucht der Architekten nach Weltstadtplätzen und ästhetischen ready mades ausgebrochen. Der Hochhausmythos hatte sich in Chicagoer und New Yorker Hochhausassoziationen niedergeschlagen. Der „Schrei nach dem Turmhaus“ von 1921 hallt seitdem wieder durch Berlin und stimuliert Podiumsdiskussionen.
Weniger Aufgeregtheit um ein Formproblem stünde uns besser an. Denn die fünf ausgewählten Entwürfe der Architekten Flöting und Kaufmann (Berlin), Ingenhoven & Partner (Düsseldorf), Hans Kollhoff (Berlin), Daniel Libeskind (Berlin) und Kny & Weber (Berlin) sind kaum mehr als naive Spielereien vom Reißbrett. Sie gleichen Graphiken, Konglomeraten oder Kompositionen von „auf Fernwirkung angelegten Panoramen“, wie es der Architekturgeschichtler Martin Kieren auf einer der Sitzungen formulierte. Der Entwurf von Christoph Ingenhoven beispielsweise zingelt den Alexanderplatz ein mit gestaffelten Hochhausmassen, die das angrenzende Gebiet unter sich vergraben. Unter der Down-Town- Kulisse schrumpft der Platz durch das hohe Maß an städtebaulicher Verdichtung und Konzentration zur Fläche eines Fußabtreters.
Radikalität als Prinzip beinhalten die Hochhauschiffren von Daniel Libeskind. Die „Idee der Bildung einer völlig neuen Stadtfiguration im zentralen Bereich der Stadt“, analysierte Jürgen Sawade im Jury-Bericht, „die sich bewußt von den sie umgebenden Stadtformen löst“, zaubert horizontale und vertikale „Baukörpergruppierungen“ aufs Papier, daß es einem schwindelt. Die Hochhausensembles bildeten Schaubühnen des Kapitalismus, Konfigurationen aus steilen Röhren, so Fritz Neumeyer, Professor für Architektur an der TU, die der Filmstadt des „Blade Runner“ entsprungen sein könnten.
Der einstige Exerzierplatz und spätere Viehmarkt an der Gelenkstelle zwischen der östlichen Stadt und dem historischen Zentrum Berlins steht nicht zum ersten Mal vor einer Umgestaltung. Hier von Altstadt und historischer Bausubstanz sprechen zu wollen, wäre grotesk. Schon während des 19. Jahrhunderts, nachdem Berlin zur Hauptstadt des Kaiserreichs avancierte, blieb auf dem Alexanderplatz kein Stein mehr auf dem anderen. Die bauliche Gestalt des Marktplatzes wurde durch die Hochbauten der Stadtbahn verändert. Nach den Wettbewerben in den zwanziger Jahren wurde der Alex zum Verkehrsknotenpunkt umgebaut. Der Zweite Weltkrieg ließ vom historischen Zentrum nur Bruchstücke. Der dritte große Umbau in den sechziger Jahren verordnete dem Platz ein neues, „sozialistisches“ Gesicht. Eine riesige Fußgängerzone „mit Assoziationen des Exerzierplatzes für staatlich verordnete Volksfeste“, wie der Autor Rolf Schneider befand, erstreckt sich seither gen Osten – ein städtebauliches Kuriosum aus Hochbauten und Verkehrstrassen, Andienerzonen für Kaufhallen und begrünten Brachflächen.
In der weiteren Diskussion – zur zweiten Phase des Wettbewerbs – sollte auf „abstrakte Formdebatten“ (Senatsbaudirektor Hans Stimmann) verzichtet werden. Der Alex muß aus der Perspektive des Wandels sowie seiner bestehenden Nutzungen und weiteren Funktionen betrachtet werden. Statt Urbanität zu postulieren und abzuleiten aus dem Rest-Umfeld des Alexanderplatzes sowie den angrenzenden Vierteln, blickt man angstvoll auf die Investoren und deren Begehrlichkeiten. Spätestens seit den Wettbewerbserfahrungen am Potsdamer Platz müßte klar sein, daß Urbanität mit Investoren nur schwer zu machen ist: Identifikatorische Orte werden so nicht geschaffen. Der öffentliche Raum wird „pervertiert“, wie es der Architekt Urs Kohlbrenner einmal formulierte. Die Profit- und Verwertungsinteressen der Unternehmen diktieren die Entwicklungsrichtung des Ortes. „Die Stadt und die Politik müssen an einem Ort wie dem Alexanderplatz die Entwicklungsrichtung vorgeben“, erklärte Richard Weinstein, ehemaliger Chefplaner von Manhattan. „Es ist nicht Aufgabe der Architekten und der Investoren zu bestimmen, wie die Stadt dort aussehen soll.“
Die Perspektive für das weitere Procedere muß sich losmachen von der „starken Mitwirkung der Investoren“ (Hans Stimmann). „Erfreulich festzustellen“, schrieb 1929 Paul Westheim in der Bauwelt über den Wettbewerb „Umgestaltung des Alexanderplatzes“, „daß hier der Magistrat planmäßig vorgegangen ist. Er hat es verstanden, den größten Teil der den Alex umsäumenden Grundstücke in seinen Besitz zu bringen. Das erleichtert naturgemäß die Festsetzung einer neuen Baufluchtlinie und die einheitliche architektonische Ausgestaltung des Platzes.“
Den wesentlichsten Wechsel für ein weiteres Vorgehen bildet die Perspektive aus dem Umfeld des Platzes. Nicht der Platz bestimmt die weitere Entwicklung, sondern seine Peripherie gibt den Weg der Umgestaltung vor. Die zukünftige Urbanität und Identität des Platzes, so der Soziologe Harald Bodenschatz, soll bestimmt werden durch das soziale Gefüge des Scheunenviertels, der Spandauer Vorstadt und der Luisenstadt – nicht durch zahllose implantierte Bürotürme. Hinzu kommt die unmaßstäbliche Weite des Platzes, die eingefaßt ist von Büro- und Wohnbauten der sechziger Jahre. Auch ihre Struktur wird für die Zukunft wichtig sein.
Zugleich muß der Platz gesehen werden in seinem Verhältnis zu den Verkehrswegen, die sich am Alex kreuzen und Barrieren zwischen das Areal und sein Umfeld legen. Die trennende Wirkung der Verkehrstrassen muß übergeleitet werden in verbindende Räume. Die Verkleinerung des Alexanderplatzes könnte die Möglichkeit schaffen für Beziehungen und Begegnungen im öffentlichen Raum; zur Kommunikation. Ein Übergang zu den bestehenden Vierteln könnte so geschaffen werden. Abseits der vordergründigen baulichen Dürftigkeit ist die Gegend reich an ungeschönter und verbauter Geschichte. Es sind Bauten, an denen die Zeit vor allem als Prozeß der Veränderung und somit der Diskontinuität erfahrbar wird. Am Alex tritt die Hinfälligkeit der Stadt offen zu Tage. Diese auszulöschen, entspräche einer weiteren Zerstörung. Vielmehr müssen die Fragmente mit neuer Architektur verdichtet werden.
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