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Der Ritter küßt die Ritterin

Opernboogie: Götz Friedrichs neue „Meistersinger von Nürnberg“ in Berlin  ■ Von Eleonore Büning

Eine einzige Bratsche zupft ein einsames, leises fis. Dann setzt die Posaune ein („zart und gebunden“ soll sie klingen), und Hans Sachs holt aus zu seinem großen Monolog: „Wahn! Wahn! Überall Wahn!“ Der Mann hat vollkommen recht. Sind sie nicht allesamt wahnsinnig geworden da unten? Der Bratschenmann und seine Kollegen, daß sie nicht längst ihre Instrumente eingepackt haben und nach Hause gegangen sind? Diese fein geputzten Damen und Herren Zuhörer, die sich literweise Parfüm übergegossen haben, bloß um dann für gut viereinhalb Stunden still im Finstern zu sitzen? Oder der Dirigent, dieser gottbegnadete Irre, der nach zwei immerhin ausreichend abendfüllenden Akten das elegische, abschiedsbewegte Vorspiel zum dritten Akt so außerordentlich ausgiebig auskostet, als hätte das Stück eben erst angefangen?

Dies ist ein Opernboogie: Der Ritter küßt am Ende immer die Ritterin. Und wenn es nicht jedesmal wieder diese holdschwachsinnigen Ewigkeiten, Bratschenpizzikati, Posaunenglissandi und dergleichen dauern würde, bis es zum Kuß kommt, dann könnte man ja gleich ins Kino gehen. Am Ende kriegt der Ritter sein blondes Evchen mit dem dicken deutschen Zopf, da wehen die bunten Fahnen, und die ganze freie Reichsstadt ruft brausend „Heil Sachs! Die heilige deutsche Kunst!“ Es handelt sich hier also um eine echte Wagner-Horror-Show: „Die Meistersinger von Nürnberg“ – des Führers Lieblingsoper. Keiner kann heute mehr sagen, das habe er nicht gewußt. Aber man sollte endlich damit aufhören, so zu tun, als sei es ein unerhörtes Wagnis, die „Meistersinger“ heutzutage wieder aufzuführen.

Sie werden ständig aufgeführt. Die „Meistersinger“ sind Repertoire. Es handelt sich außerdem, neben Beethovens „Fidelio“ (wo das Volk übrigens gleichfalls gegen Ende in lautes Heil-Geschrei ausbricht), um die meistbenutzte deutsche Fest- und Staatsakt-Oper überhaupt. Diese Tradition ist auch nach 1945 völlig ungebrochen weitergeführt worden, und zwar gleichermaßen in beiden Deutschlands.

Seit Wagner-Enkel Wieland in Bayreuth (1956/1963) eine Art ästhetische Entnazifizierung des Stücks versucht hatte, gehört es zum guten Ton, die Rezeptionsgeschichte immer ein bißchen kritisch mitzuinszenieren. Anders, ohne das, würde es nämlich gar nicht mehr gehen. Dazu ist der deutsche Ungeist noch zu nahe und das 19. Jahrhundert, dem sich dieses Werk verdankt, schon zu fern. Außerdem sind Wagners „Meistersinger“ vermutlich das Paradebeispiel dafür, daß Kunst, obwohl ideologisch völlig verkrustet, doch von herzzerreißender Schönheit sein kann.

In der neuen Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin ist das Deutsche zusammengeschnurrt zu scheinbar harmlosem Spielzeug: Nürnbergs Stadtkulisse klebt Häuschen an Häuschen pittoresk im Hintergrund. Die Fahnen und Festlichkeiten vorne sind von südländischer Heiterkeit. Die Figuren, vom alten Trottel bis zum jungen Ding, so anti-wagnerisch und dabei doch archetypisch, als hätte man sie alle schon einmal irgendwo anders gesehen, zum Beispiel in der Commedia dell' arte: den Alten mit dem jungen Weibe, den Ordentlichen, den Affigen, den Besserwisser.

Beckmesser (herausragend: Eike Wilm Schulte) ist alles andere als geknechtete Kreatur, sondern eine selbstbewußte Kreuzung zwischen Horst Bollmann und Harald Juhnke. Walter von Stolzing (angestrengt: Paul Frey) ist sehr schön und schön doof, wie manche Männer in jungen Jahren nun mal so sind. Eva (Eva Johansson) und Freundin Magdalena durchtrieben geschwätzig. Und Sachs (Victor Braun) ein sympathisch zerstreuter Professor, der sich ständig Notizen macht und ganz sicherlich dringend eine Eliza Doolittle nötig hätte, die ihm zu Hause die Pantoffeln an den Kopf wirft.

Er kriegt die Eva freilich nicht. Auch wenn er wie die anderen im zweiten Akt zügellos herumbalzt. Alle sind rollig wie die Katzen in dieser Johannis-Nacht: die Spielzeughäuschen, blau und bedrohlich nahe an die Rampe gerückt, rot und tief hängt der Mond über Soho – und schließlich die großartige alberne Massenprügelei mit Kissenschlacht. Wie sehr man sich sonst auch in acht nehmen muß vor spezifisch deutschem Humor (bereits der Abbé Liszt hatte nie die Wagnerschen Witze verstanden) – hier, in dieser klug balancierten Inszenierung, gibt es zu befreiendem Grinsen Gründe genug. Ob das erlaubt ist? Was für eine Frage. In so einem Lachen müßte jeder Mief zugrunde gehen.

Der Generalmusikdirektor Rafael Frühbeck de Burgos dirigiert aus Wagners Partitur heraus, was man nie geglaubt hätte, daß es darinnen steckt: eine tänzerische, flink-mobile und romantisch-herzwärmende Italianitá. Manchmal wird er für die Sänger zu laut. Wie ein einmalig glücklicher Wurf wirkt das Zusammengehen des Orchesters, immer wieder kommt es (zum Beispiel im kontemplativen Ensemble in der Schusterstube) zu Augenblicken, wo man weiß, warum die Oper eine große Liebe wert ist.

Götz Friedrich übrigens, der alte Hase: er hat die „Meistersinger“ in seiner langen Laufbahn bislang nur ein einziges Mal zuvor inszeniert – und zwar im Ausland, in Stockholm. Damals schon stach aus dem Schlußbild die Künstlerfahne der Meistersinger-Zunft heraus, demonstrativ markiert mit einem Davidsstern. Und bereits damals hat sich am Ende, als die Musik mit vollem Rohr in die entsetzliche Zielgerade einmarschiert, der Sänger Sachs heimlich hintenrum aus dem Staube gemacht.

Meistersinger von Nürnberg“. Deutsche Oper Berlin, B-Premiere, Inszenierung: Götz Friedrich, musikalische Leitung: Rafael Frühbeck de Burgos, Bühnenbild: Peter Sykora, Kostüme: Mit: Eike Wilm Schulte, Clemens Bieber, Eva Johansson, Victor Braun, u.a. Nächste Vorstellungen: 16. und 20. Mai, jeweils um 17 Uhr

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