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„Die rot-grüne Perspektive ist die einzig realistische Ablösungsperspektive“

■ Interview mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD), der sich offensiv als Kandidat für den Vorsitz seiner Partei und das Kanzleramt ins Spiel bringt

taz: Herr Schröder, seit wann wollen Sie Bundeskanzler werden?

Gerhard Schröder: Seit ich erklärt habe, daß ich als Kandidat zu Verfügung stehe.

Angedeutet haben sie ihre Ambitionen aber schon früher...

Früher wollte ich auch schon mal Lokomotivführer werden.

Aber seit wann wollen Sie auch den SPD-Parteivorsitz? Wo es doch heißt, sie fühlten sich in Regierungsverantwortung weitaus wohler als in Parteigremien.

In der jetzigen Situation, in der es um die Bündelung der Kräfte geht, sollte man beide Ämter in einer Hand vereinigen. Ich will daraus aber kein Dogma machen. Wenn wir regieren, kann man das auch wieder auflösen.

Also ist das Kanzleramt das Ziel und der Parteivorsitz ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin?

So würde ich es sehen. Man sollte in den anderthalb Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl Reibungsverluste vermeiden, die durch die Existenz verschiedener Machtzentren entstehen könnten.

In Niedersachsen gibt es seit langem eine Arbeitsteilung zwischen Schröder und dem SPD- Landesvorsitzenden Johann Bruns. Ist für Bonn wirklich keine Partnerin oder kein Partner in Sicht?

Bei mir hat sich kein Partner gemeldet. Was den Vergleich mit Niedersachsen angeht, so wird immer übersehen, daß ich hier Regierungschef und auch Vorsitzender des stärksten SPD-Bezirks bin, der etwa die Hälfte der Partei in Niedersachsen repräsentiert.

Was halten Sie von einer Urwahl des Parteivorsitzenden durch die SPD-Mitglieder?

Nach dem Parteiengesetz muß der Parteivorsitzende durch die dazu bestimmten Delegierten eines Parteitages gewählt werden. Eine Urwahl könnte also allenfalls eine konsultative Befragung sein, keine Wahl. Dies übersehen diejenigen, die immer eine Urwahl fordern. Gleichwohl hätte ich gegen eine solche Befragung nichts einzuwenden – vorausgesetzt, daß dies nicht zu Verzögerungen führt. Eine schnelle Entscheidung verbessert unsere Wahlchancen.

Werden Sie Ihre Bewerbung um die beiden Spitzenämter auch noch aufrechterhalten, wenn sich der Auswahlprozeß über den Sommer hinzieht?

Ich will niemanden mit Bedingungen unter Druck setzen. Allerdings würde die SPD einen riesigen politischen Fehler machen, wenn sie über die Kandidatenfrage ein Sommertheater veranstalten würde. In diesem Punkt glaube ich an die kollektive Vernunft meiner Partei.

Gibt es einen Zeitpunkt, an dem Sie nicht mehr zur Verfügung stehen würden.

Es gibt immer Zeitpunkte, an denen man zur Verfügung und zu denen man nicht zur Verfügung steht. In Niedersachsen steht im nächsten Jahr eine Landtagswahl an, die Kraft erfordert und die vor allen Dingen erfordert, daß Klarheit herrscht. Die Entscheidung über Kanzlerkandidatur und SPD- Vorsitz sollte weit vor dem Herbst stattfinden.

Kann die SPD die Regierungsmacht in Bonn nur im Bündnis mit den Grünen zurückerlangen?

Die SPD sollte eine Perspektive für die Ablösung der jetzigen Regierung formulieren. Bei den 33 Prozent, die wir im Bundestag haben, ist die Forderung nach einer absoluten SPD-Mehrheit dicht an der Grenze der Lächerlichkeit. Man muß also angeben, in welcher Konstellation man eine rechnerische und politische Mehrheit anstrebt. Da es um die Ablösung einer CDU/FDP-Regierung geht, ist die sozialliberale Option eine zweifelhafte. Schließlich hat die FDP den Willen zur Fortsetzung der gegenwärtigen Koalition erklärt. Und die SPD wäre wenig selbstbewußt, wenn sie der FDP hinterherlaufen würde. Es wäre auch nicht sonderlich glaubwürdig, den Kanzler Kohl mit Kohls Partei ablösen zu wollen. Deswegen ist die rot- grüne Perspektive, die ich will, die einzig realistische Ablösungsperspektive.

Nun ist nach der nächsten Bundestagswahl durchaus ein Ergebnis denkbar, das nur eine Ampel- oder gar eine große Koalition zuläßt. Ist mit Gerhard Schröder eine große Koalition nicht zu machen?

Ich habe die Ablösungsperspektive genannt, die ich will. Es wäre töricht, jetzt über ein Wahlergebnis zu spekulieren, bei dem meine Perspektive nicht zum Ziel führt. Jetzt müssen wir darum kämpfen, daß aus der Perspektive Realität wird.

In ihrem Buch „Die Reifeprüfung“ haben Sie Politik vor allem als Vermittlertätigkeit, Konsenssuche beschrieben. Johannes Rau nennt das „Versöhnen statt spalten“.

Das ist wohl falsch übersetzt. Man muß zuerst die eigene Position bestimmen und dann für das, was man will, Konsens herstellen. Konsenssuche vollzieht sich für mich immer auf dem Boden definierter eigener Inhalte und Ziele.

Und was sind Ihre Ziele?

Ich kann hier jetzt kein Regierungsprogramm entwickeln, sondern nur Stichworte nennen. Zuerst einmal geht es um die Organisierung des Arbeitsmarktes und zwar des ersten Arbeitsmarktes. Es geht um eine vernünftige Industriepolitik. Sozialpolitisch ist es notwendig, die Pflegeversicherung durchzusetzen. Aber man muß auch das System sozialer Leistungen so umbauen, daß sie effizienter und näher an den Menschen erbracht werden. Statt auf Sozialbürokratien müssen wir etwa auf die Förderung von Selbsthilfegruppen setzen. Außenpolitisch muß die Bundesrepublik die Selbstbeschränkung auf Blauhelmeinsätze aufrechterhalten. Ich bin gegen eine Bundesrepublik, die überall in der Welt militärisch intervenieren darf. Den Asylkompromiß müssen wir umsetzen. Ich halte aber weitere Einschränkungen von Liberalität und Rechtsstaatlichkeit, etwa durch die Einführung des großen Lauschangriffes, für überflüssig.

Das Regieren in Bonn dürfte ab 1994 eine undankbare Aufgabe werden. Es sollen dann Schuldenlasten abgetragen werden. Bedeutet das einen Sparkanzler Schröder?

Es überfordert meine Fantasie, im Mai 1993 in der taz den Bundeshaushalt 1995 zu diskutieren. Zu gegebener Zeit wird man sich den Haushalt ansehen müssen und zu bestimmen haben, wo und in welchen Feldern gespart werden kann.

Bisher haben sich mit Bruns, Rappe und Struck vor allem die niedersächsischen Parteigenossen für sie stark gemacht. Wo lauern in Deckung die Schröder-Fans aus den anderen Bundesländern?

Da ich die Deckung nicht kenne, habe ich auch niemanden ausgemacht. Aber wer immer meine Kandidatur unterstützen will, wird sich melden – so, wie ich das auch tue: mit offenem Visier. Interview: Jürgen Voges

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