Kriegsbilder - Bilderkrieg

■ In Frankfurt zeigt eine Fotoausstellung die serbischen Opfer des Balkankrieges

Man kann sich die Reise nach Frankfurt am Main notfalls sparen. Die wichtigsten Bilder aus einer Fotoausstellung, die dort zur Zeit zu sehen ist, hat auch Novo, das Magazin der Gruppe Linkswende, publiziert: ein Militärstiefel, der auf einen abgeschlagenen Kopf tritt; mit Äxten zu Tode geschlagene Menschen; die Leiche eines schrecklich zugerichteten Kindes, ein Soldat, der einen abgetrennten Kopf an den Haaren hält – alles serbische Opfer des aktuellen Krieges auf dem Balkan. Die schockierenden Farbfotos werden – auch auf der Ausstellung – untermalt von historischen Fotos aus der Zeit der kroatischen Ustascha-Republik des Faschisten Ante Pavelić. Die Botschaft ist klar: Auf dem Balkan findet ein zweiter Völkermord an den Serben statt. Die Serben hören das jeden Tag im Fernsehen, und die Ausstellung, die nun in Frankfurt gezeigt wird, trug in Belgrad denn auch den Titel: „Genozid an den Serben“.

Die Fotos wurden von der serbischen Historikerin Bojana Isaković zusammengestellt, die für die Serbische Akademie der Wissenschaften an einem Projekt über die im Zweiten Weltkrieg getöteten Serben arbeitet. Die britische Regierung hat die Ausstellung in London – mit dem Argument, hier werde gegen das Embargo verstoßen – verboten, was Bojana Isaković nicht wundern konnte. „Es ist verständlich, daß die Amerikaner und die Europäer diese Bilder nicht in ihrem Land zeigen wollen“, meint die Historikerin, „denn die Amerikaner und die Europäer sind die Urheber dieser Bilder“ – eine gewagte These, die ein Warnsignal hätte sein können.

Doch nicht für die britische Journalistin Joan Phillips. Sie holte Bilder aus der serbischen Propagandaausstellung nach England, zeigte sie dort in mehreren Städten, und die deutsche Journalistin Sabine Eden holte die Fotos nun nach Frankfurt.

Immerhin läuft die Ausstellung in Frankfurt nicht unter dem ursprünglichen Titel „Genozid an den Serben“, sondern unter der Überschrift „Die verschwiegene Wahrheit“. Daß die Wahrheit in der Regel das erste Opfer des Krieges ist, wissen wir spätestens seit dem Desert Storm. Daß mit Bildern Krieg gemacht wird, auch. Dieselben Leichen wurden mitunter dem Fernsehpublikum in Zagreb als kroatische Opfer der Tschetniks, in Belgrad als serbische Opfer der Ustascha präsentiert. Nichts auf den Bildern der Frankfurter Ausstellung beweist, daß die grauenhaft verstümmelten Menschen tatsächlich Serben sind und nicht Kroaten oder Muslime.

Aber es ist durchaus wahrscheinlich, daß die schrecklichen Fotos tatsächlich Serben sind, tatsächlich Teil einer gern „verschwiegenen Wahrheit“ sind.

Lange Zeit wurde der Krieg auf dem Balkan als Gemetzel zwischen Serben, Kroaten und später auch Muslimen wahrgenommen, bei dem jeder jedem den Schädel einschlägt, an dem alle gleichermaßen schuld sind. Daß bis heute der Krieg allein in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina stattfand, nicht aber in Serbien, wurde noch vor einem Jahr weithin übersehen. Daß ein Drittel Kroatiens seit über einem Jahr serbisch besetzt ist, daß das kroatische Vukovar zerstört wurde und nicht das serbische Niš, konnte diese schräge Wahrnehmung kaum beeinträchtigen. Erst mit den schrecklichen Bildern aus Zentralbosnien von den serbischen Lagern mit den muslimischen Gefangenen kippte die Öffentlichkeit: Serbien wurde als Aggressor wahrgenommen. Der Hauptschuldige, so setzte sich reichlich verspätet durch, sitzt in Belgrad.

Es gibt keine Unschuldigen in diesem Krieg, aber die Schuld trifft die verschiedenen Seiten doch in sehr unterschiedlichem Maß. Kroatien wurde überfallen und verteidigte sich. In Bosnien-Herzegowina versuchten die Muslime den Dreivölkerstaat zu retten, während die Serben, ideologisch, politisch und militärisch von Belgrad unterstützt, ihre eigenen autonomen Gebiete ausriefen und mit der Vertreibung der nichtserbischen Bevölkerung begannen.

Heute gibt es Mord und Massaker, Vergewaltigung und Vertreibung auf allen Seiten, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Die Fähigkeit, zu töten, zu vergewaltigen und zu foltern, ist bei allen Völkern der Welt vermutlich etwa gleichermaßen vorhanden. Von den Deutschen weiß man es. An die Franzosen in Algerien oder an die Amerikaner in Vietnam denkt man kaum mehr. Nein, es gibt nicht die bösen Serben und die guten Muslime. Es gibt aber die Umstände, unter den sie töten, vergewaltigen, vertreiben, und es gibt die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Niemand würde heute die nationalsozialistische Eroberungs- und Vertreibungspolitik in Mittelosteuropa mit ihren Folgen, der schrecklichen Massenvertreibung von Schlesiern und Sudetendeutschen, gleichsetzen.

Die Bilder in der Frankfurter Ausstellung mögen authentisch sein. Solange aber der in der Regel doch im einzelnen letztlich schlecht informierte Besucher nicht gleichzeitig über die Genese dieses Krieges und über die verschiedenen und sehr unterschiedlichen Verantwortlichkeiten aufgeklärt wird, droht die Veröffentlichung der „verschwiegenen Wahrheit“ nur wieder das bequeme Bild von einem undurchsichtigen Krieg, bei dem alle gegen alle kämpfen und an dem deshalb alle etwa gleichermaßen schuld sind, zu produzieren. Insofern sitzt dann auch die bestgemeinte Ausstellung der serbischen Propaganda auf. Thomas Schmid