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Armut bedroht auch die Mittelschicht

■ Caritas-Verband legt Armutsbericht vor / Kinderreichtum als neuer Armutsgrund / Reformen gefordert

Frankfurt/Main (dpa/taz) – Armut bedroht immer öfter auch die Mittelschichten. Dies geht aus einer Untersuchung des Caritas- Verbandes hervor, die gestern in Frankfurt vorgestellt wurde. Ein Drittel der im Frühjahr 1991 befragten 4.000 Caritas-Klienten gab an, ihre wirtschaftliche Lage vor dem Hilfesuchen bei der katholischen Sozialeinrichtung sei gut oder sehr gut gewesen. Ein Drittel bezeichnete sie als mittelmäßig. „Extrem hohe Mieten führen bei einem Teil der Klienten trotz der Inanspruchnahme von Wohngeld zu Armut“, sagte der Wirtschaftsprofesssor und Forschungsleiter der Studie, Richard Hauser. Viele Menschen machten Ansprüche überhaupt nicht geltend.

Kinderreichtum hat sich in den vergangenen 20 Jahren zur neuen Ursache von Armut in Deutschland entwickelt. Die hohe Arbeitslosigkeit und die größere Zahl alleinerziehender Eltern mit Folgeproblemen wie ausbleibenden Unterhaltszahlungen haben vor allem die Lage der Kinder verschlechtert, stellte Hauser fest. Während Kinder unter 14 Jahren nur 14 Prozent der Bevölkerung ausmachten, seien sie in den Familien der jährlich 1,3 Millionen Caritas-Klienten mit 33 Prozent viel stärker vertreten. Jedes elfte Kind unter sieben Jahren wächst zumindest zeitweise in einem Sozialhilfe-Empfängerhaushalt auf.

„Armut hat ihre Wurzeln in Mängeln des sozialen Sicherungssystems“, stellte Caritas-Vizepräsidentin Teresa Bock fest. Sie kritisierte, daß Arme selbst von Politikern als Ausbeuter des sozialen Systems bezeichnet würden. Dringend notwendig sei eine Verbesserung der Vorsysteme, die Alten, Arbeitslosen und Kinderreichen den Rückgriff auf die kommunale Sozialhilfe ersparen könnten. Dafür müsse ein Existenzminimum Grundlage für alle der Sozialhilfe vorgeschalteten Sicherungssysteme sein, sagte Bock. Sie hoffe, daß sich der Gesetzgeber zügig an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Existenzsicherung halten werde. Außerdem müsse die Sozialhilfe selbst reformiert werden, um den Empfängern einen Ausweg zu weisen und ihre Selbsthilfefähigkeit zu stärken. Der Caritas-Bericht kann nur einen Ausschnitt der sozialen Probleme darstellen. Um gesicherte Daten zu erhalten, müsse ein offizieller Armutsbericht her, forderten Hauser und Bock. Dies blockt das Kabinett bislang jedoch ab.

Die neuen Bundesländer sind in der Untersuchung, deren erste Ergebnisse im Oktober 1992 vorgelegt wurden, noch nicht vertreten.

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