: Konzentrationslager als Fluchtburg?
■ Roma-Verbände wollen am Sonntag für ihr Bleiberecht das KZ Neuengamme besetzen / Hamburgs Behörden halten sich bedeckt
wollen am Sonntag für ihr Bleiberecht das KZ Neuengamme besetzen / Hamburgs Behörden halten sich bedeckt
Vor 50 Jahren ein Ort der Vernichtung — ab Sonntag eine Fluchtburg für Flüchtlinge: das ehemalige Konzentrationslager in Neuengamme. Am 16. Mai, dem 53. Jahrestag der ersten Deportationen von Roma nach Polen, wollen die deutsche Sektion des Roma National Congress (RNC) und regionale Verbände der Rom & Cinti-Union (RCU) das Gelände des KZ im Südosten von Hamburg besetzen. Sie wollen dort ein Flüchtlingslager für Roma errichten, die sich illegal in Deutschland aufhalten und durch das „Deportationsabkommen“ der Bundesregierung von der Abschiebung in ihre Herkunftsländer bedroht sind.
Schon einmal waren Roma für ihr Bleiberecht nach Neuengamme gezogen: Im Herbst 1989 wurden ihr Hungerstreik und die Besetzung des Klinkerwerks jedoch auf Geheiß des FDP-Senators Ingo von Münch durch einen Polizeieinsatz beendet. Damals hatten die Roma einen gesicherten Aufenthaltsstatus vom Hamburger Senat gefordert. Der räumte schließlich nach zähen Verhandlungen 150 Roma-Familien ein Bleiberecht ein.
Doch seit der Änderung des Ausländergesetzes Anfang 1991 müssen Roma wieder Anträge auf Asyl einreichen — ihre Chancen auf Erfolg sind jedoch gleich Null. Die Anerkennungsquoten für jugoslawische und rumänische Flüchtlinge liegen bei 2,6 bzw. 0,1 Prozent. Auch Hamburg schiebt Roma aus Ex-Jugoslawien ab, so sie nicht aus Bosnien-Herzegowina oder Kroatien stammen. In der Ausländerbehörde liegen jedoch keine Zahlen vor, wieviele Roma hier leben, weder über die Asylsuchenden noch Schätzungen über „Illegale“.
Darüber, wie sich die Kulturbehörde als Hausherrin der Gedenkstätte Neuengamme am Sonntag zu verhalten gedenkt, hält sie sich bedeckt. Ihm habe man aber signalisiert, erklärte der Vorsitzende der Hamburger RCU, Rudko Kawcynski, gestern der taz, daß sie zwar nicht eben willkommen seien, man sie jedoch vorerst dort dulden werde. „Die Behörde will das Ganze genauso wenig zum Hamburger Problem machen wie wir“, so Kawcynski. Denn seine Forderungen hat der RNC an die Bundesregierung gerichtet.
In einem dreiseitigen Postulatum, das vergangene Woche ans Bundeskanzleramt geschickt wurde, fordert der RNC vor dem Hintergrund der fortgesetzten Pogrome gegen Roma in ihren Herkunftsländern die Bundesregierung auf, sie endlich als ethnische und kulturelle Minderheit anzuerkennen und ihnen gemäß der Genfer Konvention einen Flüchtlingspaß auszustellen. Zudem sollen Roma aus dem ehe-
1maligen Jugoslawien ein Bleiberecht erhalten und die Bundesregierung die Resolution 62 der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (Schutz der Roma) unterzeichnen. Seinen Forderungen will Kawcynski mit einem unbefristeten Hungerstreik Nachdruck verleihen:
1„Die Bundesregierung soll zeigen, ob sie sich einen Dreck um Menschenleben schert.“
Noch schert sie sich nicht: In der Bonner Pressestelle der Bundesregierung wußte man gestern weder von der geplanten Besetzung, noch von dem Postulatum.
1„Ich nehme an, daß wir das Schreiben beantworten werden“, so ein Sprecher auf taz-Nachfrage. Sannah Koch
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