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SPD: Kommt Zeit, kommt Rat

Erst mal Mitglieder fragen (aber was?), im September dann Vorsitzende/n wählen (aber wen?), und dann hat man schon den/die KanzlerkandidatIn (aber nur vielleicht!)  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

SPD-Bundesgeschäftsführer Karl-Heinz Blessing soll bis zum kommenden Montag die Idee finden, die der kollektiven Weisheit von Präsidium und Parteivorstand bisher noch fehlt. Dann nämlich soll endgültig festgelegt werden, wie „eine über das bisherige Maß hinausgehende Beteiligung der Mitglieder an der Entscheidung über den/die künftige(n) Parteivorsitzende(n)“ aussehen könnte. So geschraubt faßte die Pressemitteilung nach der Parteivorstandssitzung am Montag den einen der beiden Beschlüsse zusammen, die die 45 Spitzenleute der SPD nach achtstündiger Sitzung zustande gebracht hatte. Die Parteibasis soll mehr als gewöhnlich zu sagen haben, wenn auch nicht in Form einer bindenden Urwahl. Die verbieten Parteiengesetz und SPD-Satzung.

Der andere, immerhin halbwegs präzise Beschluß: Der für den November geplante Parteitag wird zwei Monate vorverlegt, im September also will die SPD die Zeit der Führungslosigkeit hinter sich gebracht haben. Das Drängen auf schnellere Entscheidung, einen Sonderparteitag noch vor der Sommerpause, wie vor allem die Parteilinke gefordert hatte, fand nur wenige Anhänger. Eine rasche Klärung hatte im Vorfeld der Sitzung vor allem auch Gerhard Schröder verlangt, der für Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur antritt. Aber alle Kandidaten, verkündete Rau nach der Sitzung, tragen die Beschlüsse mit.

Tatsächlich läßt sich wenig dafür anführen, daß die Zeit stärker für oder gegen einen der beiden Hauptkontrahenten – Schröder und Scharping – arbeitet. Die Chancen von Heidi Wieczorek- Zeul, die in der Wahrnehmung der Partei am weitesten links angesiedelte Kandidatin für den Parteivorsitz, dürften dagegen sinken – zumal vermutet werden muß, daß in weiten Teilen der Mitgliedschaft die Vorbehalte gegen eine weibliche Chefin nicht ausgestorben sind.

Eine Vorentscheidung schon vor der Sommerpause wäre Renate Schmidt aber recht. Die (immer noch nicht ganz entschlossene) Bewerberin um die Kanzlerkandidatur könnte nämlich über das Verfahren jeden Einfluß darauf verlieren, ob das Amt für sie noch in Frage kommt. Eine Empfehlung des Parteivorstands schon vor dem Sommer, wie Schmidt gestern vorgeschlagen hat, macht allerdings nicht viel Sinn, wenn die Mitgliedschaft über Alternativen entscheiden soll. Und ein Mitgliedervotum nach vor der Sommerpause, das Rau nicht ausschließt, scheint nach dem Blick auf den Kalender fraglich. In vier Wochen entführen die Sommerferien die SPD-Mitglieder einiger Bundesländer bereist in die Ferne, und ob Blessing und die Parteigremien die ungelösten Probleme in dieser Frist meistern, scheint äußerst fraglich. Schnelle Entscheidung und Mitgliederbeteiligung schließen sich eben aus, wie Partei-Vize Wolfgang Thierse von vornherein gesagt hatte.

Wie aber wird die aussehen? Daß der Parteivorstand alles im Ungewissen ließ, liegt sicher auch daran, daß das Projekt Mitgliederbefragung recht unvermittelt über die SPD hereingebrochen ist – und zu einem guten Teil aus der Verlegenheit geboren wurde, daß mit den gewohnten Mitteln diese Führungskrise nicht mehr gemeistert werden kann. Da eine bindende Abstimmung aus Satzungsgründen nicht in Frage kommt, sind allerlei Varianten denkbar: von der Abstimmung persönlich anwesender Mitglieder auf regulären oder eigens einberufenen Parteiversammlungen (was in den meisten Fällen die Beteiligung auf Parteiaktivisten und -funktionäre einengen würde) bis zur allgemeinen, breiten Wahl. Das einfachste Verfahren – für jedes Mitglied einen Stimmzettel, der zurückgeschickt wird – ist auch das unwahrscheinlichste: Das Porto sprengt die Finanzkapazitäten.

Die Parteivorstandsmitglieder waren am Montag abend nicht nur bei konkreten Festlegungen der Mitgliederbeteiligung zurückhaltend. Fast alle Vorständler meldeten sich in der Debatte zu Wort, aber Kontroversen oder polemische Spitzen blieben aus: keine Aussprache der persönlichen Bekenntnisse für oder gegen die Bewerber um die Spitzenämter. Immer noch sind weitere Kandidaturen denkbar, sagte Rau nach der Sitzung, etwa die von Lafontaine. Im Parteivorstand soll nach ihm nicht gerufen worden sein.

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