: Schon wieder Stühlerücken im Bonner Kabinett
■ Die Kohlsche Dauerkabinettskrise geht mit den CSU-Erbfolgekämpfen weiter / Droht Stoiber in Bonn? / Wird Seehofer Finanzminister?
Bonn (taz) – Wenn Edmund Stoiber in Bonn auftaucht, gibt es meistens Ärger. Mal kämpft der bayerische Innenminister in der Verfassungskommission gegen eine Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz. Ein andernmal sitzt er in der Koalitionsrunde und nervt Helmut Kohl mit flammenden Reden für die Einführung der Autobahnvignette. Daneben hat Stoiber es sich zur lieben Gewohnheit gemacht, alle paar Monate einmal die liberale Bonner Justizministerin als „Sicherheitsrisiko“ zu beschimpfen. Und natürlich war er mit am Tisch, als Regierung und SPD den Asylkompromiß aushandelten – die nicht zuletzt unter seinem Druck darauf verzichteten, das mittelalterliche deutsche Staatsbürgerrecht zu modernisieren.
Seit einigen Tagen scheint es nicht mehr unmöglich, daß Stoiber seine Präsenz in Bonn deutlich verstetigen könnte. Denn, so meldeten es verschiedene Zeitungen, der konservative Grabenkämpfer könnte Bundesinnenminister werden, wenn Finanzminister Theo Waigel in München die Nachfolge von Ministerpräsident Max Streibl antreten sollte. CDU-Mann Rudolf Seiters würde in diesem Fall das Finanzministerium übernehmen und die Leitung des Innenressorts an die CSU abtreten.
Tatsächlich waren diese Berichte bislang weitgehend Spekulation – so beteuern es zumindest die Bonner Christdemokraten. Zur Begründung können sie sich darauf beschränken, Stoiber selbst zu zitieren. Für ein Bonner Amt stehe er „nicht zur Verfügung“, hatte der bayerische Innenminister dieser Tage selbst erklärt – hofft er doch immer noch, in der Münchner Arena seinen Rivalen Waigel niederringen und selbst die Streibl- Nachfolge antreten zu können.
In Bonn darf folglich weiter spekuliert werden. Vielen fällt dabei ein, daß Gesundheitsminister Seehofer ein CSU-Mann nach Kohls Geschmack wäre. Daß er die Kosten im Gesundheitswesen senken kann, hat er bereits bewiesen. Warum sollte er nicht in der Nachfolge des Schuldenministers dasselbe im Finanzressort versuchen? Aber auch Waigel selbst, der noch vor einigen Wochen Amtsmüdigkeit angedeutet hatte, fühlt sich im Bonner Finanzministerium nach wie vor „pumperlmunter“ – so ließ er es zumindest seinen Sprecher verbreiten.
So oder so sollte sich der Kanzler überlegen, ob er dem alten Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“ nicht allmählich Verfassungsrang einräumen sollte. Heute überreicht Bundespräsident Weizsäcker den beiden Gewinnern der jüngsten Kabinettsumbildung die Ernennungsurkunden. Matthias Wissmann, der nach gut 100 Tagen im Amt des Forschungsministers nun Verkehrsminister wird und der neue Forschungsminister Paul Krüger dürfen sich womöglich schon bald wie alte Hasen am Kabinettstisch vorkommen.
Noch sei der CSU-Erbfolgekrieg eine rein Münchner Angelegenheit, beteuerte gestern Regierungssprecher Dieter Vogel. Anders als beim letzten Stühlerücken nach der Entlassung von Günther Krause wäre ein Abgang von Waigel dennoch für niemanden eine Überraschung. Auch in Helmut Kohls Umgebung werden Max Streibls Rückzugsgefechte seit Monaten eher amüsiert verfolgt – der Unterhaltungswert der CSU scheint ihr politisches Gewicht zunehmend zu übertreffen.
Ob Kohl bereit wäre, das Amt des Innenministers an die kleine Schwesterpartei abzutreten, darf auch deshalb als vergleichsweise fraglich gelten. Die CDU will die Innere Sicherheit zu einem ihrer Hauptthemen im Wahlkampf machen. Mit einem christdemokratischen Innenminister läßt sich das besser bewerkstelligen als mit einem Mann von der CSU. Das Innenministerium sei nun mal ein ganz „zentrales Amt“, sagen Regierungsleute. Ob man das wirklich der CSU übertragen sollte, die sich in den letzten Jahren so erfolgreich in Richtung Bedeutungslosigkeit manövriert hatte?
Manche in Bonn erinnern sich noch daran, wie es war, als dem FDP-geführten Justizressort ein CSU-Innenminister Zimmermann gegenüberstand. Zwischen beiden Ressorts sei damals „in manchen Fragen gar nichts mehr“ gegangen. So etwas wie der Asylkompromiß mit der SPD wäre mit Zimmermann nicht möglich gewesen, glaubt ein Freidemokrat.
So ist auch bei der FDP die Angst vor dem schwarzen Mann eher schwach ausgeprägt. Die FDP will sich, wie das die „alte Regel“ sei, nicht in die Personaldiskussionen von Koalitionspartnern einmischen, so wie das die FDP ihrerseits für ihre Ressorts beanspruche. Wer immer in Folge der CSU- Querelen neuer Minister werden sollte, erhalte „von uns eine faire Chance“, versicherte FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms gestern ganz gelassen. In der FDP bereitet man sich zwar schon gedanklich darauf vor, daß es mit einem Innenminister Stoiber in Bonn künftig wieder öfter „lustvoll krachen“ könnte. Doch sehen manche Freidemokraten eher die „gewisse Chance“ zur Profilierung, die dies den Liberalen böte: Liberaler als Stoiber zu sein ist eine Kunst, die noch jeder Freidemokrat beherrscht. Hans-Martin Tillack
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