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Basteln zwischen Spieltrieb und Identitätsstreß

■ In vier Berliner Läden kann man Modeschmuck selbst zusammenpfriemeln / Es gibt auch politisch korrekte Bijous

Bunte Perlen, bunte Murmeln, bunte Steinchen, soweit das Auge reicht. Den Kunden überfällt ein heftiger Spiel- und Basteltrieb, sobald er die „Perlen-Bar“ an der Uhlandstraße betritt. Aus der Fülle gilt es, das Richtige auszuwählen und das dann auf einen Draht oder eine bunte Schnur zu fädeln, bis ein Armband, eine Brosche oder ein Ohrring entsteht. An den Wänden hängen die Produkte der wuchernden Phantasie der Verkäuferinnen — wild gezackte Marmorstücke an Lederschnüren, glitzernde Bänder aus falschen Perlen. Von der Vielfalt der Materialien zählt die Verkäuferin Doris Zielinsky nur einige auf: Holz, Horn, Knochen, Kunststoff, Glas und Keramik. Kenner und Liebhaber verlangen nach exotischeren Stücken wie zum Beispiel chinesischen Lackperlen, mundgeblasenen Glaskugeln oder Swarovski- Kristallen aus der ältesten Glasschleiferei Deutschlands, die sich in einer Schachtel hinter der Ladentheke verbergen. Solche Kuriosa können um die zwanzig Mark pro Stück kosten, die gewöhnlicheren Materialien dagegen bekommt man für einen Preis zwischen 40 Pfennig und neun Mark.

Kitas gehören zu den ständigen Kunden der „Perlenbar“, und auch nachmittags werden die Mütter an den Händen in den Laden gezerrt. Die vierjährige Hella braucht eine Viertelstunde, bis sie sechzehn glitzernde Ringe für ihre neue Kette ausgewählt hat — „als Entschädigung dafür, daß beim Friseur eben ihre Haare so kurz geworden sind“, erklärt die Mutter.

Nicht nur zweckfreier Spieltrieb treibt jedoch Kundinnen in den Laden. Zwei Studentinnen aus Lausanne tragen stirnrunzelnd Dutzende von Kügelchen für eine Kette zusammen und wirken ziemlich angestrengt. Vermutlich spielt hier das Phänomen, das Soziologen mit „Identitätsstreß“ bezeichnet haben, eine Rolle. Selbstgemachter Schmuck ist eine vergleichsweise wohlfeile Methode, von der Masse abzustechen.

Andere Kundinnen treibt reine Sparsamkeit in den Laden. „Heute Morgen hat hier eine alte Dame angerufen, der ihre Perlenkette gerissen ist und die jetzt falsche Perlen dazukaufen will“, sagt Doris Zielinsky. Eine Kundin im Nerzmantel stellt sich am Regal eine Kette aus goldfarbener Keramik zusammen. Wie sie in das Geschäft geraten ist? „Ich stehe sowieso im Parkverbot“, erklärt sie und wird, nachdem sie die gesuchte Perle gefunden hat, etwas deutlicher: „Wenn ich die Kette hier zusammensuche, ist sie billiger, als wenn ich sie fertig kaufe.“ So kommt das Knöllchen zum Teil wieder herein.

Geschäfte für selbstgemachten Modeschmuck gibt es außer in der Uhlandstraße noch in der Kantstraße und in der Potsdamer Straße. Seit zehn Jahren kann man auch in der „Metissage“ in der Dresdener Straße in Kreuzberg Bijous basteln — aus Materialien, die die Betreiber selbst in Indien, Afrika und auf den Philippinen einkaufen. „Wir wollen einen respektvollen Umgang mit allen Kulturen — weg von der wilden Vermarktung der ,Ethno-Ware‘“, sagt die Geschäftsführerin Liliane Chancerel. Alle Einzelteile in ihrem Laden sind aus ungefärbten Naturmaterialien oder aus Glas — politisch korrekter Schmuck sozusagen. Miriam Hoffmeyer

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