: Eine Flugzeugfabrik als Gefängnis
■ Seit Sonntag halten kroatische Soldaten 2.000 Muslime bei Mostar fest / Waffenstillstand erneut gebrochen / Bosniens Regierung erwartet serbische Großoffensive / Nato-Kommando für Blauhelme?
Genf (taz) – „Rund 2.000 Muslime, in Gruppen zu 200 in Räume gepfercht, in denen eigentlich nur Platz für 50 Menschen ist; unten die Männer, auf der oberen Etage Frauen und Kinder. Der Kontakt zwischen den beiden Stockwerken wird von den kroatischen Bewachern rigoros unterbunden.“ So schilderte gestern ein Mitarbeiter des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge gegenüber der Genfer UNHCR-Zentrale die Lage in der stillgelegten Flugzeugfabrik außerhalb Mostars, die er am Mittwochabend inspizieren durfte. Schon im letzten Jahr diente das Gebäude den Kroaten als Gefängnis – damals für 200 serbische EinwohnerInnen der Stadt am Neretva-Fluß. „Kriegsverbrecher“, wie der bosnische Kroatenführer Mate Boban behauptete. Als der UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Ex-Jugoslawien, Tadeusz Mazowiecki, das Gefängnis im Oktober 92 besuchte, zählte er unter den 200 Gefangenen 120 Frauen, viele in betagtem Alter.
Ähnlich „verlogen“ – so eine UNHCR-Sprecherin – ist die Begründung der Kroaten für die Inhaftierung der 2.000 Muslime. Man sei wegen der anhaltenden Artillerieeinschläge um ihre „Sicherheit“ besorgt gewesen. Dabei hatten fast alle Gefangenen, die der UNHCR- Mitarbeiter sprechen konnte, kroatische Nachbarn entweder im Nebenhaus oder sogar unter dem selben Dach. Die Vertreibung der 2.000 Muslime aus ihren Wohnungen begann letzten Sonntag – mit Methoden, die den „ethnischen Säuberungs“-Praktiken der bosnischen Serben nicht nachstehen. Oft, so die Schilderungen gegenüber dem UNHCR-Mitarbeiter, gaben die Kroaten ihren Gefangenen keine fünf Minuten, um ein paar Habseligkeiten zusammenzupacken. Nicht wenige verließen ihr Haus mit nichts mehr auf dem Leib als ihrer Unterwäsche. Zum Teil schon seit Sonntag inhaftiert, erhielten die Gefangenen bis zum Mittwochabend nur vier Bisquits und ein Glas Wasser.
Am Dienstag sonderten die kroatischen Bewacher 15 Männer im Alter zwischen 25 und 45 aus, drückten ihnen Schaufeln in die Hand und transportierten sie in einem Bus ab. Bis zum Mittwochabend kehrten sie nicht zurück.
Das UNHCR möchte „so schnell wie möglich“ mit einem Hilfskonvoi bis zu dem Gefängnis vordringen „und dort bleiben, um eine internationale Dauerpräsenz zu gewährleisten“. Die Hilfsorganisation hofft, die von ihr befürchtete „totale ethnische Säuberung“ der Stadt noch verhindern zu können. Von dieser „Säuberung“ betroffen werden könnten nicht nur die mehrheitlich muslimischen Bewohner Mostars am östlichen Flußufer, sondern auch die 20.-30.000 Muslime, die noch auf der Westseite als Minderheit unter den Kroaten leben. Für die Menschen im Ostteil gibt es kein Wasser und keine Elektrizität mehr.
Der am späten Mittwochabend von UN-Vertretern vermittelte Waffenstillstand zwischen muslimischen und kroatischen Truppen in Mostar wurde am Donnerstag nicht eingehalten. Der kroatische Rundfunk berichtete von Gefechtslärm, über der Stadt seien Rauchwolken aufgestiegen. Das Waffenstillstandsabkommen hatte den Rückzug der Truppen in ihre Kasernen sowie die Freilassung der von den Kroaten verschleppten Muslime vorgesehen.
Die bosnische Regierung erwartet eine serbische Großoffensive in der Save-Tiefebene. So würden zur Zeit massive Militärtransporte bei der serbisch besetzten Stadt Brčk stattfinden. Allein in der Nacht zu Donnerstag seien von mindestens 20 Militärhubschraubern Mannschaften und Material eingeflogen worden. Mehrere Orte in der Umgebung hätten nach anschließenden Artillerieangriffen “vollkommen in Flammen“ gestanden.
Die UNO wurde aufgefordert, in das Gebiet mit rund 50.000 Einwohnern zu entsenden. Weiter hieß es: “Wenn dies nicht erfolgt, ist nicht eine Neuauflage der Entwicklungen um Srebrenica, Zepa und Gorazde zu erwarten, vielmehr fällt hier die Entscheidung über Erhalt oder Zusammenbruch von Bosnien-Herzegowina.“ Der durch die Tiefebene laufende Nordkorridor der Serben wird bei Brčko von bosnischen Truppen immer wieder unterbrochen.
Die UNO und die Nato haben sich offenbar darüber geeinigt, wer das Kommando über die Nato- Friedenstruppe übernehmen soll, die im Falle einer Annahme des Vance-Owen-Plans nach Bosnien geschickt wird.
Wie aus Nato-Kreisen verlautete, soll der für Südeuropa zuständige amerikanische Nato-Admiral Jeremy Boorda diesen Auftrag erhalten. Ihm zur Seite gestellt werden soll ein Beauftragter der Vereinten Nationen; im Gespräch ist der frühere norwegische Außenminister Thorvald Stoltenberg. Andreas Zumach
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