: Wo Vernunft stärker ist als Irrationalität
■ In den abgeschiedenen kroatischen Bergen von Gorski Kotar leben Serben und Kroaten friedlich zusammen / Bauern und Intellektuelle aktiv gegen Krieg und Nationalismus
Rijeka (taz) – „Gorski Kotar“ ist ein dicht bewaldetes Bergplateau östlich der kroatischen Küstenstadt Rijeka. Die Dörfer liegen in etwa 700 bis 1.000 Meter Höhe, die Berge steigen bis zu 1.500 Meter an. Die Menschen hier leben von der Forstwirtschaft, von ein bißchen Viehzucht und einem zaghaften Fremdenverkehr.
Obwohl die Adriaküste nur rund 40 Kilometer entfernt ist, wirkt Gorski Kotar abgeschieden. „Wir haben eine Art Bergmentalität“, sagt Josip Horvat, Gemeindevorsteher von Delnice, dem Hauptort der Region. Doch für ihn ist das ein Vorteil: „Gorski Kotar hat Kroatien keine Kriegshelden geschenkt, dafür aber Friedenshelden wie den Dichter Goran Kovačič oder den Maler Franjo Rački.“ Und auf noch etwas ist er stolz: „Schon vor 100 Jahren gab es bei uns keine Analphabeten mehr.“
Von den serbisch kontrollierten Gebieten Kroatiens ist Gorski Katar rund 100 Kilometer entfernt. In einem Almgasthof im serbischen Dorf Tuk werden „hauseigene“ Würste und selbstgemachter Käse serviert. Auch das Brot hat die Wirtin am Morgen selbst gebakken. Sie ist Serbin und ihre beiden Söhne sind aus anderen Teilen Kroatiens hierher geflüchtet. Sie kamen in eine Region, in der Serben und Kroaten weiterhin friedlich zusammenleben.
Ein pensionierter Partisanengeneral, unser Gastgeber, erklärt, warum das möglich ist: „Serben und Kroaten leben hier schon 400 Jahre lang gemeinsam. Die Region ist relativ abgeschieden und war daher der Propaganda des nationalen Hasses nicht so zugänglich.“ Nicht einmal in den kühnsten großserbischen Expansionsplänen werde Gorski Kotar als „heilige serbische Erde“ beansprucht.
„Natürlich sind die Menschen hier genetisch wie überall“
Und schließlich ist wohl auch ein weiterer historischer Umstand ausschlaggebend. Im Zweiten Weltkrieg war die Region von Anfang an italienisch besetzt, sie gehörte also nicht zum Ustascha- Staat von Hitlers Gnaden und wurde relativ früh von den Partisanen befreit. Somit fallen manche historischen Gründe für den Haß der Serben auf die Kroaten weg.
„Ich bin stolz darauf, daß solche Serben und solche Kroaten hier leben, diese Serben und Kroaten sind anders als dort, wo der Krieg geführt wird“, erklärt Lazo Mamula, serbischer Ortsvorsteher des Dorfes Gomirje. „Natürlich sind die Menschen hier genetisch und von der Mentalität her wie überall. Sie leben bloß – auf der Karte gesehen – einen Zentimeter weiter westlich. Aber das macht den Unterschied aus. Auch bei uns hat es – auf beiden Seiten – Versuche gegeben, eine Kriegseuphorie anzuheizen und Propaganda zu betreiben. Aber die vernünftige Seite des Menschen war stärker als seine irrationale. Und was noch sehr wichtig war: Bei uns gibt es in allen Orten und Organisationen besonnene Menschen an der Spitze, die ständig miteinander Kontakt gehalten haben. Auch hier war die Situation hochdramatisch, die Leute haben sich nicht mehr in die Nachbargemeinden getraut. Doch wir haben uns jeden Abend zusammengesetzt und solange diskutiert, bis wir wußten, was wir am nächsten Tag zu tun haben oder besser: am selben Tag, denn oft ist es schon wieder morgen gewesen, als wir auseinandergingen.“
Beide Seiten davon überzeugt, Barrikaden abzubauen
Einen wesentlichen Anteil an der friedlichen Entwicklung hat Franjo Starčevič, Ortsvorsteher des kleinen Dorfes Mrkopalj. Der ehemalige Philosophieprofessor an der Universität Rijeka hatte als „Dissident“ unter Tito seinen Posten verloren und war in seinen Heimatort zurückgekehrt. Im Winter 1991/92, als auch hier bereits Barrikaden gebaut und Waffenlager angelegt wurden, fuhr der Kroate Starčevič mehrmals in das serbische Nachbardorf Jasenak und vermittelte – oft auch gegen den Widerstand seiner eigenen Leute. Schließlich konnte er beide Seiten davon überzeugen, die Barrikaden abzubauen.
„Mit der Provinzverwaltung in Ogulin war es sehr schwierig“, erläutert ein weiterer Gesprächspartner. „Am Höhepunkt der nationalen Euphorie, vor mehr als einem Jahr etwa, haben sie die Straßen zu den serbischen Dörfern blockiert mit der unsinnigen Behauptung, daß sich hier Tausende Tschetniks aufhielten. Das hat überhaupt nicht gestimmt, aber wir haben Schwierigkeiten mit der Versorgung bekommen. Gottseidank haben uns die kroatischen Nachbardörfer geholfen und die Verbindung über Bergstraßen gewährleistet.“ Um den Gerüchten entgegenzutreten, hat man das Fernsehen eingeladen. Ein Team hat Gespräche geführt und Aufnahmen gemacht, aber der Film ist niemals gesendet worden.
Die Wahrheit ist unerwünscht, wenn sie sich nicht für die Kriegspropaganda nutzen läßt. Auch sonst scheint man auf höherer Ebene das Beispiel Gorski Kotar nicht so recht zu schätzen. Die neue Gemeindeeinteilung trennt jedenfalls manche serbischen Dörfer voneinander, was die Serben als bewußte Taktik sehen, ihre Position in Kroatien zu schwächen.
Die Menschen in Gorski Kotar sehen sich nicht nur als provinzielle Ausnahme in der allgemeinen militaristischen Hysterie. Sie verstehen sich auch als Vorreiter eines friedlichen Zusammenlebens im ganzen Land. Als Symbol wollen sie auf dem höchsten Berg, der Bjelolasica, ein Denkmal des Friedens errichten. Werner Wintersteiner
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