: Schuld am Verlust hat die Politik
Lufthansa-Chef Jürgen Weber weist jegliche Verantwortung für die knallrote 1992er Bilanz seiner Fluggesellschaft weit von sich ■ Aus Frankfurt Annette Jensen
„Der Weg zurück in die Gewinnzone ist vorgezeichnet, wir beschreiten ihn“, rief Lufthansa-Chef Jürgen Weber gestern bei der Bilanzpressekonferenz in Frankfurt mit hochrotem Kopf ins Mikrofon. Schon 1994 sollen schwarze Zahlen geschrieben werden; ein Jahr später soll das heute mehr als eine Milliarde Verlust bringende operative Geschäft nicht mehr defizitär sein.
Daß die Bilanz der Kranich-Gesellschaft das letzte Geschäftsjahr bei einem Umsatz von 17,2 Milliarden Mark mit einem Verlust vor Steuern von 310 Millionen Mark (1991: minus 444 Mio. DM) abgeschlossen hat, führt Weber auf die schlechte Konjunktur und die politischen Rahmenbedingungen zurück – seine eigene Geschäftspolitik hingegen stellt der Vorstandsmann mit der pastoralen Stimme ausschließlich als erfolgreich dar.
Insbesondere die US-amerikanischen Luftfahrtgesellschaften drängen mit Dumpingpreisen auf den Markt, auf Kosten der Sicherheit, meint der LH-Chef, der stolz auf seine Flotte mit dem jüngsten Durchschnittsalter verweist. „Dreckschleudern und Krachmacher gibt es bei uns nicht“, behauptet er. Was Weber verschweigt: Die Wartungskosten der halbstaatlichen deutschen Fluggesellschaft sind die höchsten in ganz Europa. Und die Affinität des obersten Lufthanseaten zu neuem Boeing-Fluggerät hat erst kürzlich wieder zur Bestellung von Maschinen geführt, die weder die LH noch ihre Chartertochter Condor tatsächlich brauchen. Gleichzeitig stehen 16 Flieger in der Wüste und warten auf Käufer.
Der zweite Buhmann für Weber ist die Politik – obwohl Flugbenzin nach wir vor nicht besteuert wird und obwohl Verkehrsexperten mit einer Zunahme des Luftverkehrs um fast 50 Prozent bis zum Jahr 2000 rechnen. Vor allem die Flughafen- und Sicherheitsgebühren hat Weber als „Profitkiller“ ausgemacht: mit 2,6 Milliarden hätten Gebühren und Entgelte im letzten Jahr zu Buche geschlagen.
Das deutsch-amerikanische Luftverkehrsabkommen, das US- Gesellschaften den Zugang zu deutschen Flughäfen erlaubt, sei ein unakzeptabler Wettbewerbsnachteil, denn umgekehrt schützt die USA ihren heimischen Markt massiv vor ausländischen Flugzeugen. Die Lufthansa ist deshalb auf einen Partner jenseits des Atlantiks dringend angewiesen. Auf die Verhandlungen mit American Airlines angesprochen, reagiert Weber fast beleidigt: „Das kann sich doch jeder selbst vorstellen, daß es schwierig ist, mit den Amerikanern Kirschen zu essen. Große Geschäfte sind immer schwierig.“
Aber auch sonst sind die überlebensnotwendigen Zusammenschlüsse mit anderen Airlines spärlich: Außer Beteiligungen Bei Lux Air und Lauda Air sind Kooperationen mit Finnair und Air France verabredet. Es liefen Gespräche mit zwei südeuropäischen Fluggesellschaften. „Aber wir machen natürlich nur etwas, wenn es sich rechnet“, gibt der Vorstandschef sein tiefsinniges Kalkül zum Besten. Daraus, daß ihm der „Boom der Luftfahrtehen“ nicht paßt, macht Weber kein Hehl: „Es darf munter beteiligt werden, ohne daß ein Kartellamt einschreitet.“ Die IATA (International Air Transport Association) hatte im letzten Herbst prognostiziert, daß sich im Jahr 2000 nur noch 50 Fluggesellschaften den Himmel teilen werden; heute sind es mehr als 200.
Obwohl die Zahl der Passagiere bei der Lufthansa um 14,4 Prozent zunahm, sank das Durchschnittsertragsniveau um 6 Prozent; noch immer sind die Maschinen nur zu 63,2 Prozent belegt. Bei der Fracht sah es mit einem Minus von 11 Prozent noch dramatischer aus. Zu viele angeflogene Ziele und ein zu großer Maschinenpark sind die Haupt-Handicaps, der großen deutschen Luftfahrtgesellschaft.
Da reicht das im letzten August aufgelegte Sanierungsprogramm, das schon 3.000 Menschen den Job gekostet hat und das insgesamt den Abbau von 7.000 Arbeitsplätzen versieht, bei weitem nicht aus. Und auch die Verlängerung der Arbeitszeit der Piloten um drei Monatsstunden kann das große Loch nicht stopfen, auch wenn durch beide Maßnahmen 386 Millionen Mark gespart wurden. Und „daß sich der ausgewiesene Verlust gegenüber dem Vorjahr leicht verbessert hat, erklärt sich aus Buchgewinnen von 290 Millionen DM aus dem Verkauf von Fluggerät und der Hauptverwaltung in Köln sowie mit 354 Millionen DM aus der Änderung des Abschreibungsverfahrens“, räumt Lufthansa- Vize Klaus Schlede ein.
Die LH braucht dringend eine Kapitalaufstockung. Schon heute beträgt die Nettokreditverschuldung des Konzerns 6,1 Milliarden DM. Aber der Hauptanteilseigner Bund will wegen der leeren Staatskasse keine Finanzspritze geben. Verringert sich aber der 51prozentige Anteil des Staates, kündigt die Versorgungskasse Bund Länder (VBL) den Vertrag für die Altersversorgung der MitarbeiterInnen. Rund 3,5 Milliarden DM wären fällig. „Die Gesamtproblematik VBL muß in diesem Jahr gelöst werden“, fordert Weber vehement und pocht auf den Tisch. Aber daran allein liegt es nicht, weiß Schlede. „Wir wissen, daß eine Kapitalerhöhung erst drin ist, wenn sich die Werte nach oben bewegen.“ Nicht nur die Berater von McKinsey bezweifeln, daß es dazu kommt. Wenn es so weitergeht wie bisher, rechnen sie mit einem Absturz der Lufthansa schon im nächsten Jahr.
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