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Nach dem Umzug folgt der Abzug

Die hessische Ministerin für Frauen und Arbeit zurückgetreten (worden) / Renovierungskosten aus dem Staatssäckel erstattet — Dienstwohnungsentschädigung mitkassiert  ■ Aus Wiesbaden K.-P. Klingelschmitt

Während der hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) am Mittwoch abend dem Landtag sein „Investitionsprogramm 2000“ erläuterte, verbreitete sich in der Lobby die eigentliche Nachricht des Tages wie ein Lauffeuer: Frauen- und Arbeitsministerin Heide Pfarr (SPD) habe sich 1991 die Renovierungskosten für ihre Privatwohnung in Wiesbaden in Höhe von 50.000 DM (!) aus der Kasse ihres Ministeriums erstatten lassen. Entsetzte Mienen bei den Sozialdemokraten, ungläubiges Staunen bei den Grünen – und Schadenfreude bei der Opposition: „Euer Krause heißt offenbar Pfarr.“

Gestern vormittag war dann alles klar: Staatsministerin Prof. Dr. Heide Pfarr hatte noch vor Beginn der Plenarsitzung um neun Uhr dem Ministerpräsidenten ihr Rücktrittsgesuch eingereicht. Und Hans Eichel hat es angenommen. „Schaden von der Landesregierung und von der Partei“ wolle sie mit ihrem Rücktritt abwenden, hatte Heide Pfarr ihrem konsternierten Regierungschef schriftlich mitgeteilt – obgleich die „zuständigen Beamten“ nach wie vor der Auffassung seien, daß sie „auf der Basis des Ministerbezügegesetzes rechtmäßig gehandelt“ habe.

Dieser Auffassung steht allerdings die Rechtsmeinung anderer Experten gegenüber, daß die Renovierungskosten nur dann hätten erstattet werden können, wenn Pfarr in eine Dienstwohnung eingezogen wäre. Noch am Mittwoch abend hatte die Ex-Ministerin erklärt, daß nach den Landtagswahlen vom April 1991 keine Dienstwohnung mehr frei gewesen sei. Gestern dagegen wurde in der Landtagslobby kolportiert, daß die „extravagante Frau Pfarr“ keine der „einfallslos geschnittenen Dienstwohnungen“ habe beziehen wollen. Auf Anfrage sagte Regierungssprecher Erich Stather, daß Heide Pfarr eine ihr damals angebotene Dienstwohnung mit 180 Quadratmetern zu groß gewesen sei. Mit dem Bezug einer Privatwohnung, so Stather, habe sich Pfarr dann das Anrecht auf eine sogenannte Amtswohnungsentschädigung gesichert – „doch dann hätte sie auf die Erstattung der Renovierungskosten für ihre Privatwohnung verzichten müssen“. Stather: „Heide Pfarr hat monatlich die 1.200 DM bis 1.300 DM Dienstwohnungsentschädigung bekommen und die 54.000 DM für die Renovierung ihrer Privatwohnung.“ Und das sei „nicht in Ordnung gewesen“ – „da beißt die Maus keinen Faden ab“. Die Umzugskosten in Höhe von 6.000 DM seien ihr dagegen „rechtmäßig erstattet“ worden.

Daß es auf die Rechtmäßigkeit der Kostenerstattungen alleine auch nicht ankomme, räumte Pfarr in ihrem Rücktrittsgesuch allerdings selbst ein: „Ich betrachte es heute als meinen Fehler, daß ich in diesem Zusammenhang nicht größere Sensibilität entwickelt habe.“ Sie habe sich bei ihrer Wohnungssuche und bei ihrem Umzug auf die Rechtsauskünfte aus ihrem Ministerium verlassen, ohne die entsprechenden Vorschriften selbst zu prüfen. Sollte sich jetzt herausstellen, daß die Kostenerstattung „fehlerhaft“ gewesen sei, so Pfarr, werde sie diese Beträge selbstverständlich zurückerstatten.

Vor dem Landtag betonte Ministerpräsident Hans Eichel, daß die Rücktrittsentscheidung von Heide Pfarr „in keiner Weise ihre gute, engagierte und erfolgreiche Arbeit“ in der hessischen Landesregierung schmälere. Auch der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Lothar Klemm, erklärte, daß der „Vorgang“ keinerlei Anlaß zu einer frauenpolitischen Kurskorrektur biete: „Für politische oder strukturelle Veränderungen gibt es keine Veranlassung.“ Nach wie vor kursiert im Landtag undementiert das Gerücht, daß es Gegner des Frauen-Gleichstellungsgesetzes aus den eigenen sozialdemokratischen Reihen gewesen seien, die am Mittwoch die „News“ von den Pfarrschen Verfehlungen unters Volk gestreut hätten.

Dafür, daß das Frauen-Gleichstellungsgesetz wie vorgesehen im Landtag verabschiedet werden wird, wollen auch die Grünen sorgen. Deren Sprecherin Elke Cezanne erklärte gestern, daß an dem nach langen Auseinandersetzungen endlich konzipierten Gesetzentwurf „keinerlei Abstriche“ vorgenommen werden dürften. Mit ihrer schnellen Rücktrittsentscheidung, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Karin Hagemann, habe sich Heide Pfarr „Respekt verdient“.

Noch ist offen, wer die Nachfolge von Heide Pfarr im hessischen Frauenministerin antreten wird. Ins Gespräch gebracht haben sich drei Frauen aus der SPD- Landtagsfraktion: Anita Breithaupt aus Frankfurt, Haidi Strehletz aus Heusenstamm und Erika Wagner aus Eschwege. Doch der Flurfunk in der Staatskanzlei sendet andere Signale aus. Eine Frau „von außen“ soll in Hessen neue Frauenministerin werden – und zwar so schnell wie möglich.

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