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Gestörte Harmonie beim Vereinigungsparteitag

■ Heute beginnt in Leipzig der erste Parteitag von Bündnis 90/ Grüne / Konflikt um Bosnien könnte die geplante Regie gefährden / Harmonie pur bei den Wahlen?

Berlin (taz) – Bis gestern standen die Zeichen für den Vereinigungsparteitag von Grünen und Bündnis 90 auf ungetrübte Harmonie: zweistellige Umfrageergebnisse, ein oppositionelles Vakuum in Bonn, das den Wiedereinzug in den Bundestag fast schon zur Selbstverständlichkeit herabstuft und dann, noch einmal, der Dauerbrenner – die Vereinigung selbst. Die soll auf dem heute in Leipzig beginnenden Parteitag endgültig besiegelt werden.

Doch ob die Feier ungetrübt vonstatten gehen kann, ist nun wieder offen. Denn was bislang von beiden Seiten unter keinen Umständen gewünscht wurde, soll jetzt nach dem Willen prominenter Bündnis-Politiker doch auf die Leipziger Tagesordnung: eine Debatte zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien. An der Kontroverse über die Frage einer militärischen Intervention könnte just am Tage der Vereinigung ein emotional aufgeladener Konflikt zwischen den Partnern aufbrechen. Denn während die Grünen bislang mehrheitlich an ihrer pazifistischen Tradition festhalten, fordern Bündnispolitiker seit Monaten eine Intervention zur Durchsetzung humanitärer Ziele – auch mit militärischen Mitteln.

Gerade weil der Konflikt seit längerem programmiert war, hatten die Vereinigungsstrategen beider Seiten verabredet, das Thema im Interesse eines harmonischen Verlaufs auszusparen. Damit schrieben sie eine Tradition des gesamten Vereinigungsprozesses fort, in dem pragmatisch und relativ geräuschlos das organisatorische Procedere des Zusammenschlusses ausgehandelt, die inhaltlichen Konflikte jedoch weitgehend ausgespart blieben. Die gemeinsamen inhaltlichen Erklärungen, der Grundkonsens zur Vereinigung und die auf dem Parteitag zur Debatte stehende „Leipziger Erklärung“ zur innenpolitischen Situation stehen denn auch für einen Minimalkonsens. Doch die inhaltlichen Vereinigungsdebatten stehen weiter aus. Ein Einstieg mit der Jugoslawiendebatte jedenfalls würde deutlich machen, daß noch beträchtliche politische Distanzen zwischen Bürgerrechtlern und Grünen liegen.

Demgegenüber sind die organisatorischen Hürden auf dem Weg zur gemeinsamen Partei längst genommen: ein Jahr Verhandlungen, eine satte Zweidrittelmehrheit der Parteitagsdelegierten im Januar in Hannover, danach die geglückte Urabstimmung der Mitglieder beider Organisationen. Am Wochenende wird der Assoziationsvertrag, auf dessen Grundlage sich die Vereinigung vollzieht, in Kraft gesetzt.

Neben Sekt und Freude über das „für die Parteienlandschaft der Bundesrepublik so bedeutsame Ereignis“ (Presseerklärung B'90) stehen in Leipzig die Wahlen zum Bundesvorstand der neuen Partei im Mittelpunkt. Gar nicht traditionsgemäß reist der vor gut zwei Jahren in Neumünster gewählte grüne Bundesvorstand zufrieden und angstfrei nach Leipzig. Während die Sozialdemokraten derzeit ein altgrün anmutendes Gerangel um die Führungspositionen veranstalten, sind die Spitzenpositionen bei Bündnis 90/ Grüne erstmals schon vor dem Parteitag ausgemacht. Mangels Gegenkandidaturen wird der Parteitag Ludger Volmer als Parteisprecher, Heide Rühle als Geschäftsführerin sowie Henry Selzer als Schatzmeister bestätigen.

Kein Zufall, daß kein prominenter Realpolitiker gegen Ludger Volmer antreten will. Daß der aus dem linken Lager der Grünen stammt, hindert etwa Joschka Fischer nicht daran, ihm beste Zensuren auszustellen: „Aufgabe hervorragend erfüllt“. Sowohl die innerparteiliche Befriedung wie die pragmatisch-geräuschlose Vereinigung schreibt Fischer dem Parteisprecher gut.

Soviel Lob aus Hessen freilich hat seinen Preis: Unter Rechtfertigungszwang steht Volmer heute bei seinen linken Freunden. Für viele geht sein Vereinigungsmanagement mit der Preisgabe grüner Identitäten einher. Der in mühsamen Sitzungen ausgehandelte Grundkonsens gilt bei linken Grünen als unpolitisches Sammelsurium, ohne Zuspitzung. Droht im neuen Bündnis Verbürgerlichung und Rechtsruck? In Neumünster gehörte Volmer selbst noch zu den Warnern. Heute bittet er seine politischen Freunde nur darum, die Leipziger Vereinigungsfeier nicht mit harten, kontroversen Debatten „kaputtzumachen“.

Doch wie die Bürgerrechtler in der Interventionsfrage wollen sich auch die Linken der Harmoniestrategie nicht fügen. Sie haben genug vom Feiern und wollen, was bei den Grünen seit längerem nicht mehr stattfindet: Positionsbestimmung. Eine Gegenresolution zur „Leipziger Erklärung“ des Bundesvorstandes liegt vor.

Neben Ludger Volmer wird in Leipzig Marianne Birthler, die ehemalige Bildungsministerin in Brandenburg zur Parteisprecherin gewählt. Sie kommt, wie Wolfgang Templin, Gerd Poppe und Reinhard Weishuhn aus der „Initiative Frieden und Menschenrechte“. Seit ihrer Zeit als Abgeordnete der letzten Volkskammer gehört sie zu den profiliertesten Bündnis- Frauen. Ihr bundespolitischer Aufstieg begann mit ihrem Abgang aus dem Kabinett Stolpe. Ihre Begründung, sich nicht zugunsten eines durch Stasi-Kontakte kompromittierten Regierungschefs verbiegen zu lassen, brachte ihr republikweite Anerkennung. Seitdem lief auch der Sprecherinnenposten der neuen Organisation auf sie zu.

Eng wird es bei den sieben Beisitzerposten im neuen Leitungsgremium.

Immerhin traut man dem Bündnis zu, daß es am Ende statt der garantierten zwei auch drei Beisitzerplätze gewinnen könnte. Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter Vereinigungsmanager auf Bündnisseite, gilt als sicherer Kandidat.

Daneben bewerben sich vom Bündnis Christiane Ziller, Mitarbeiterin bei Konrad Weiß, und Reinhard Weishuhn, Mitarbeiter bei Gerd Poppe. Weishuhn, bislang eher im Hintergrund, ein offener, politischer Kopf mit sanft-linken Neigungen und ohne Berührungsängste zu den Grünen, könnte bei den bevorstehenden inhaltlichen Klärungen eine wichtige Rolle spielen.

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