Tiefgarage statt jüdischem Friedhof

■ Der Kompromiß um den ehemaligen Hamburger Friedhof gerät ins Wanken

Hamburg (taz) – Wieder Krach um die Bebauung des jüdischen Friedhofes in Hamburg-Ottensen. Die Investorengruppe um Büll & Liedtke (B & L) hat angekündigt, den im Sommer vorigen Jahres in Israel ausgehandelten Kompromiß nicht einzuhalten und nun doch das Einkaufszentrums („Hertie Quarree“) nach den alten Bauplänen zu errichten. B & L-Sprecher Dr. Peter Voß zur taz: „Wir bereiten die Bauarbeiten nach der alten Baugenehmigung vor.“ Im Klartext: Wo jetzt noch die Gebeine von jüdischen Toten liegen, soll eine Tiefgarage ausgeschachtet werden.

Die Ursache des neuen Disputs ist laut B & L der Vertragsbruch durch die Stadt. Voß: „Die Lösung, die angestrebt wurde, ist auf Wunsch der Stadt geschehen. Es ist aber nicht einzusehen, daß die Kosten, der von der Stadt gewünschten Lösung, ausschließlich von Privatinvestoren gezahlt werden.“

Wie berichtet, hatte es im Frühjahr 1992 weltweite Proteste gegen die Bebauung des alten Friedhofes gegeben. Es kam vor dem Hertie Quarree zu zahlreichen Demonstrationen ultraorthodoxer Juden. Nachdem Hamburg einen „politischen Kompromiß“ angeregt hatte, fällte der Jerusalemer Oberrabbiner Jitzchak Kolitz einen Schlichtungsspruch: Danach durfte der jüdische Friedhof zwar mit einem Einkaufszentrum auf Stelzen gebaut, der Boden aber nicht ausgeschachtet werden.

Die Investorengruppe B & L wünscht nun die Kosten für die Neuplanung von der Stadt erstattet zu bekommen, weil Hamburg sich 1953 per Vertrag verpflichtet hatte, die restlichen Gebeine von dem Gelände auf den jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf zu überführen. Daß dies nicht geschehen war, hatte B & L erst nach dem Kauf des Areals vom Hertie- Konzern bemerkt. Voß: „Wir haben die Hansestadt anwaltlich aufgefordert, ihre Verpflichtung zu erfüllen, die sie unserer Meinung nach hat.“ Doch der Senat erkennt die Schadenersatzforderungen, die sich auf 30 Millionen belaufen sollen, bislang nicht an.

Im Rathaus herrschte gestern Überraschung über die B & L- Attacke: Hamburgs Senatssprecherin Jutta Köhn: „Wir haben nach wie vor eine laufende Gesprächssituation.“ Daher hält sie die Ankündigung des Bauunternehmens, mit den Ausschachtungsarbeiten gegen alle Widerstände im Juni zu beginnen, für Säbelrasseln. Hintergrund des B & L- Vorstoßes könnte vielmehr sein, daß sich das Unternehmen ganz aus dem seit Jahren umstrittenen Projekt zurückziehen möchte und auf Bau den „Schickimicki-Konsumpalastes“ (GAL) verzichtet. Im Moment zeigt sich B & L aber noch hart, selbst neuerlichen Demos orthodoxer Juden standzuhalten und die Baustelle vor Blockaden zu sichern. Voß: „In Abwägung aller Faktoren, haben wir uns entschieden, die Bauarbeiten nach den alten Plänen durchzuführen.“ Kai von Appen