: Die Bundeswehr ist auf den ersten deutschen Kriegstoten seit 1945 perfekt vorbereitet — durch Dienstvorschriften. Ein Szenario für den Fall, daß die Vermeidung von Gefährdung nicht ganz so reibungslos verläuft. Von Bernd Müllender
Der Tod: ein „besonderes Vorkommnis“
Die Bundeswehr startet bestens vorbereitet nach Somalia. Pannenreiche Erfahrungen aus Kambodscha haben gelehrt: keinen russischen Generator zur Stromversorgung mitnehmen, weil der dort, so die Hardthöhen-Prosa, „den Vertretern des Kapitalismus den Dienst verweigert(e)“. Auch der dicke „Kampfanzug oliv“ bleibt, anders als in Kambodscha, daheim im Spind. Weil es andernlands deutlich heißer ist als im Vaterland, sind Tropenuniformen geordert. Auch lernen die Soldaten mittlerweile, so ein Bundeswehr- Heft, „die Gefährdung durch Minen zu vermeiden“.
Indes, es bleiben Sorgen bei deutschen Soldaten: Was geschieht, wenn mich Gevatter Tod bei meinem humanitären Wirken im Weltenrund stellen sollte? Wenn ein UN-Unfall sich ereignet, wenn ein anderer Kamerad Soldat eine Kugel schickt oder eine Mine sich doch anders verhält als im Vermeidungslehrgang gelernt? Der „Reibert“, die Kriegsbibel aller Oliven hierzulande, die schon beim Rußlandfeldzug im Sturmgepäck war, schweigt sich über den T-Fall aus. Der Tod – ein Tabu in der Bundeswehr? Was passiert, wenn der erste deutsche „Gefallene“ seit 1945 zu betrauern ist? taz-Recherchen ergaben: Die Bundeswehr ist sehr wohl auf den Todesfall vorbereitet. Äußerst perfekt sogar. Übungsfälle waren die Manöveropfer seit 1956. Und Auskunft und Vorschriften gibt es auch, falls es, etwa in Somalia, soweit kommen sollte. Vorausschau eines Hardthöhen-Sprechers: „Wir werden das händeln wie einen ganz normalen Unfall.“
Blättern wir in den einschlägigen Zentralen Dienstvorschriften, etwa der ZDV 10/8. Schon die Anlage zu Kapitel 3, Titel: „Einführung in Geschichte und Entwicklung der militärischen Trauerfeiern“, offenbart historische Verbundenheit. Da werden „beispielhafte Leichenparaden“ aus deutscher Vergangenheit beschrieben („Kaum aber deckten Erdschollen den Sarg, so donnerten 3 Salven himmelan“) und Spezifika der Teilstreitkräfte vorgestellt, hier Marine: „Die Leiche, an deren Füßen man Kanonenkugeln oder Ballasteisen befestigt, um sie schneller sinkend zu machen und Heraufschwimmen zu verhindern, wird auf ein Brett gelegt...“ Allesamt Traditionen, denen sich die Bundeswehr bei ihren Trauerfällen mit „militärischen Ehren als Ausdruck des Mitgefühls“ verpflichtet sieht.
Szenario: Somalia, 11. August 1993. Aus dem Raum Belet Uen nordwestlich der Hauptstadt Mogadischu werden „völlig unerwartet plötzliche Unruhen“ (Hardthöhe) gemeldet. Es soll Tote und Verletzte gegeben haben. „Nach einigen Stunden bangen Wartens“ (dpa) bestätigt ein Bundeswehrsprecher „den tragischen Zwischenfall“: ein Stabsfeldwebel sei „bei Verteidigungsgefechten ums Leben gekommen“. Der Name wird noch zurückgehalten, „mit Rücksicht auf die Angehörigen“. In Deutschland unterbrechen die Radiosender ihre Programme für eilige Korrespondentenmeldungen. Bundeskanzler und Bundespräsident schicken Beileidstelegramme an die deutschen UNO- Missionare in Ostafrika.
Zu diesem Zeitpunkt hat das Räderwerk der Bundeswehr-Vorschriften längst zu greifen begonnen. Der Arzt, der sofort zum schwerverletzten Opfer gerufen worden war, sah keine Hilfsmöglichkeiten mehr, und die ZDV 49/50 bestätigt: „Verwundete mit einer Verletzung der Aorta oder anderer großer Blutgefäße sind meist kein Problem für den Arzt, denn sie verbluten sofort.“ Und so geschah es. Der Tod gilt ausdrücklich als „Besonderes Vorkommnis“ und ist sofort „als Meldung abzusetzen“. Details liefern die von der Bundeswehr extra für den Somalia-Einsatz zusammengestellten Richtlinien über „Registrieren und Transport von Unfalltoten und Gefallenen“.
Die Identifizierung des Verbluteten war dank der metallenen Erkennungsmarke und ihrer 12stelligen Personenkennziffer (im Jargon: Hundemarke), die um den Hals baumelnd „immer am Mann“ zu sein hat, leicht möglich. Eine Bergung des Verstorbenen war wegen des unzugänglichen Geländes zunächst nicht möglich, und so hatte der Finder die untere Hälfte der Erkennungsmarke vorschriftsgemäß abgeknickt und dem Einheitsführer zwecks weiterer Schritte vorgelegt. Dieser hat mit „250252-F-32011“ den 41jährigen Stabsfeldwebel Rüdiger Fleuren aus Krefeld identifiziert und sofort, wie es die ZDV 10/8 verlangt, den „nächsten Disziplinarvorgesetzten“ des Toten in seiner Einheit in Deutschland informiert. Der Vorgesetzte hat nun umgehend „die nächsten Angehörigen aufzusuchen und die Nachricht vom Ableben zu überbringen“. Damit dieser schwere Moment nicht plump wie bei Derrick abläuft, muß der militärische Todesbote „die Form der Benachrichtigung mit dem zuständigen Militärgeistlichen absprechen“. Die Vorschrift verlangt zudem, „Beileid auszusprechen“, und zwar „in geeigneter Weise“.
In Somalia wird der Tote derweil geborgen. Stabsfeldwebel Fleuren wird in einen jener eigens von der Bundeswehr mitgeführten Leichensäcke aus Plastik (bags) gelegt, die sich schon bei alliierten Golfkriegsopfern als praktisch erwiesen haben. Dann folgt der Rücktransport nach Deutschland. Dazu hat die Bundeswehr indes keine Särge dabei (Bundeswehrverband: „So was gibt es nicht, das wäre ja makaber“), folglich muß ein Sarg umgehend auf dem zivilen Markt besorgt werden.
Die vielzitierten Zinksärge gibt es nicht. Vielmehr wird der tote Stabsfeldwebel in einen aus Holz gelegt, der, so die Hardthöhe, nach Möglichkeit „luftdicht und hartgelötet“ sein sollte und „besonders den klimatischen Bedingungen entsprechen muß“. Grund: „Ein delikates Thema: die Hygiene, weil beim Zerfallsprozeß zumindest unangenehme Gerüche entstehen“. Falls alles klappt, stellt sich der Sprecher des Ministeriums „folgende Bilder bei der Rückführung eines Toten“ vor: „Zur feierlichen Zeremonie bei der Landung wird der Sarg aus dem Flugzeug getragen, mit Bundesdienstflagge drauf, mit – wenn die Angehörigen einverstanden sind – allen militärischen Ehren, und so weiter und so fort...“
Für den Sargkauf gelten strenge finanzielle Richtlinien, die zeigen, daß der Verteidigungsetat weitestgehend geschont wird. Christoph S., ein Major der Reserve, früher als Versorgungsoffizier mit solchen Fällen betraut, über seine Erfahrung mit Manövertoten: „Vorschrift war aus Kostengründen stets eine schlichte Beerdigung 3. Klasse. Der Sarg war vor Ort zu beschaffen, einer aus der untersten Preisklasse.“ Ein weiterer Kostenfaktor ist der Grabschmuck. Hierzu sagt die Dienstvorschrift ZDV 10/8 unmißverständlich: „Für einen Kranz mit Schleife dürfen einschließlich der Nebenkosten in den Monaten Mai bis Oktober bis zu 130 Mark, in den anderen Monaten bis zu 150 Mark aufgewendet werden.“ Die zuständige Standortkommandantur des toten Fleuren gleicht mit dem Kalender ab und gibt folgerichtig einen Kranz für DM 130 in Auftrag.
Den Angehörigen obliegt es, „militärischen Ehren bei Trauerfeiern“ zuzustimmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Soldat im oder außer Dienst verstarb, tödlich verunglückte oder ob er, wie hier im Fall des erschossenen Fleuren, laut ZDV 10/8 „durch Wehrmaterial ums Leben gekommen“ ist. Nun wird der Sarg aufgebahrt. Dienstvorschrift: „Die Aufstellung repräsentativen Wehrmaterials ist möglich. Art und Umfang müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Anlaß des Gedenkappells stehen.“ Bei Rüdiger Fleuren blieben Panzer und MGs als zierendes Wehrmaterial dem Sarg fern; man einigt sich laut ZDV 10/8, Punkt 326, bei Sargschmuck auf „Bundesdienstflagge und Stahlhelm“.
„Die Überführung des Abgelebten“ ist damit abgeschlossen. Am Tag der Beerdigung verläuft das „kleine militärische Ehrengeleit“ – ein großes bleibt hohen Offizieren vorbehalten – vorschriftsgemäß. „Die Totenwachen nehmen in der Kapelle beiderseits des Sarges Aufstellung und nehmen ,Habt-acht‘-Stellung ein.“ Sodann tritt der Führer der Abordnung vor, „ordnet die Schleifen des niedergelegten Kranzes, tritt zurück, nimmt Grundstellung ein, verharrt eine angemessene Zeit im stillen Gedenken und erweist den militärischen Gruß...“ Witwe Christa Fleuren weint. „Ein Mannschaftsdienstgrad trägt auf angewinkelten Armen die Bundesdienstflagge.“ Jetzt erscheinen die Musiker. Sie spielen „Totenmarsch, Trauermarsch oder Trauerchoral“. Alternative: „Soweit nur Trommler zur Verfügung stehen, schlagen diese einen rhythmischen Wirbel.“
Eigens hervorgehoben in der ZDV 10/8 und folglich wichtig: „Der Trompeter nimmt selbständig verdeckt Aufstellung in der Nähe des Grabes.“ Er spielt noch nicht. „Augen gerade – aus!“ Der Kommandierende kommandiert „mit einer dem Anlaß entsprechenden Lautstärke“. Fleurens Sarg wird in das Grab gesenkt. „Ehrengeleit – Stillgestanden! Helm – ab zum Gebet.“ Alle Kopfbedeckungen werden zu Ehren des Kameraden „mit der linken Hand abgenommen und am vorderen Rand — hinteren Rand nach oben, Öffnung zum Körper zeigend – vor die Mitte der Brust gehalten.“ Die Gebete erfolgen still und sogar individuell; spezielle Texte sind auch in der ZDV 10/8 nicht vorgegeben. Danach: „Helm – auf.“ Und jetzt kommt der Moment für den vorschriftsmäßig „im Hintergrund versteckt stehenden Trompeter“: Er intoniert das „Lied vom guten Kameraden“. Einige Zivilisten weinen.
Danach müssen die Soldaten warten, bis „alle Trauergäste die Grabstätte verlassen haben“. Was im Trauerfall Fleuren wegen des großen Andrangs von Medien – Sat.1 überträgt live – und Neugierigen sehr lange dauert. Endlich aber kann „das Ehrengeleit ohne Spiel in Marschtempo 114 abrücken“. Vorschriftsmäßig mußte der „Führer der Abordnung“ den Trauernden noch „sein Mitgefühl aussprechen“.
„Außerhalb des Friedhofs kann mit klingendem Spiel weiter marschiert werden.“ Die Soldaten tun dies weisungsgemäß und sind froh, daß alles in Anwesenheit Dutzender Fernsehkameras so reibungslos geklappt hat. Was nicht immer so ist. Versorgungsoffizier Christoph S.: „Oft haben die Angehörigen auf dieses Ehrengeleit mit Stahlhelm und Gewehr verzichtet, und die Soldaten waren glücklich: Da muß man nicht drei Tage üben und sich dabei dauernd auf die Hacken treten.“ Froh ist die Ehrenabordnung auch, daß der Stabsfeldwebel Fleuren keine Orden hatte. Das hätte Komplikationen mit dem Ordenskissen geben können. Ein solches ist, verlangt die Vorschrift, „an der oberen Schräglage des Fußendes des Sarges anzubringen, daß es ohne weitere Handgriffe durch den Ordenskissenträger aufgenommen werden kann. Sind mehrere Ordenskissen erforderlich, sind alle weiteren Ordenskissen auf Ordenskissenständern anzubringen.“
Wenige Tage später bekommt die Witwe Christa Fleuren Nachricht über die Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz: Alles ist geregelt, als Hinterbliebene bekommt sie „eine einmalige Unfallentschädigung (steuerfrei) von 50.000 DM. Dazu „Witwengeld aus erhöhtem Unfallruhegehalt“ von monatlich rund 2.500 DM und eine Witwengrundrente von 600 DM (Bei „angenommener Schädigung Verlust eines Beines“ hätte es sogar 100.000 Mark plus gut 20.000 Mark „Übergangsbeihilfe und Übergangsgebührnisse“ sowie Rente gegeben – Quelle: Bundeswehr-Heft „Informationen zur Sicherheitspolitik“).
Doch dann der Schreck: Familie Fleurens private Unfall- und Lebensversicherung weigert sich zu zahlen. Sie erkennt einen getarnten Kriegseinsatz, der schon dadurch zu vermuten sei, daß die Bundeswehr tonnenweise Munition nach Somalia mitgenommen hatte und sich der Versicherte, wenn auch erfolglos, mit seiner Dienstwaffe gewehrt hatte. Damit, so die Versicherer, trete die „Kriegsklausel“ in Kraft, die sie von allen Ansprüchen freistelle. Schon im Frühjahr 1993 hatte ein Sprecher des Bundesverbandes der Lebensversicherer gegenüber der taz eingeräumt: „Es weiß doch niemand, was das in Somalia wird. Etiketten wie humanitärer Einsatz sind für uns kein Kriterium. Wenn da einer eine Brücke baut und runterfällt, fällt das selbstverständlich unter den Versicherungsschutz. Aber wenn die Deutschen da jetzt Krieg spielen wollen, dann sicher nicht. Sollte es zu entsprechenden Streitfällen kommen, werden wir das höchstgerichtlich klären lassen.“ Der Fall Fleuren wird zum juristischen Präzedenzfall.
Doch die erste kriegsbedingte deutsche Soldatenwitwe seit 1945 braucht sich nicht zu sorgen. Ersatzweise zahlt nämlich der Bund. In Absprache mit Finanzminister Waigel hatte der Verteidigungsminister schon 1992 garantiert, er werde bei Auslandseinsätzen die Soldaten „so stellen“, als würden Unfall- und Lebensversicherer alle denkbaren Risiken decken. Ein Sprecher der Hardthöhe nannte das jetzt „eine Ausfallbürgschaft des Verteidigungsministeriums“, die zudem bis zum Sommer in ein neues „Auslandsverwendungsgesetz“ münden solle. Quintessenz: Sollten die Gerichte „humanitäre Einsätze“ à la Somalia für kriegsnah halten und die Privatversicherer von Leistungen freistellen, gehen die Zahlungen an die Hinterbliebenen eben zu Lasten der Steuerzahler.
Quod erat demonstrandum: Alles ist gerichtet, zu Sorgen besteht keinerlei Anlaß.
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