"Ich bin ein echter Mensch!"

■ Nach Clementine kam der "Minister for Tomorrow": Hannes Koch sprach mit dem Plakatkameraden Ossi Urchs

Clementine gehört zu unserer Kindheit wie Oma zu den Ferien, keine Tauffeier ohne Frau Sommers Kaffeetips, Tilly weiß, was Hände wünschen, und wer schließlich könnte uns eine Kaffebohne näher bringen als der Tschibo-Man in Kolonialisten-Tracht?

Richtig nett waren die Werbetanten und Onkels, fürsorglich wie Heidi Kabel, streng wie Jean Gabin und unwirklich wie das HB- Männchen. Weil alle wußten: Es sind Schauspieler, Models, Gesichter, die gekauft werden, um uns zu sagen, daß Ariel weiß wäscht, Jacobs Kaffee wunderbar schmeckt und die Tchibo-Bohne mild ist. Und die danach heimgehen, als Johanna König, Hans Dampf oder Peter Müller, deren Privatinteressen keinen was angehen. Zustände, von denen die Werbefiguren von heute nur noch träumen können. Denn nicht, weil sie so schön zur Verpackung passen, werden sie ausgesucht, sondern weil sie als Gesamtkunstwerk stimmig zum Produkt sein sollen. Ihr ganz eigenes Menschen-Image sollen sie auf die Ware übertragen. Denn wird der Mensch zum Medium, ist sein Leben die Botschaft. Vorläufige Speerspitze der Entwicklung: die Philip Morris Light American Minister for Tomorrow. Einer der Volksvertreter der „Reklame-Republik“ (Cord Schnibben) ist Futur-Fossil Ossi Urchs, Minister for Tomorrow. Über sein Haut-und Haar-Leib-und-Seele-Engagement sprach er mit Hannes Koch – und verriet, wie zärtlich Computer sein können.

taz: Der Name „Ossi Urchs“ klingt, als ob du im Jahre 2.234 auf einem fernen Planeten geboren wärst. Wie ist dein bürgerlicher Name?

Ossi Urchs: Das ist mein bürgerliche Name. Urchs ist ein Familienname, mein Vater kommt aus Pilsen in der Tschechei. Und Ossi ist die Kurzform von Oswald.

„Ossi“ hat aber nichts damit zu tun, daß ihr eure Zigaretten auch östlich der Elbe verkaufen wollt?

Ich hieß Ossi, da hat noch niemand von Ossis geredet.

Du siehst eher aus wie ein Fossil, weniger wie ein Mensch des 21.Jahrhunderts. Warum hat der Zigarettenkonzern gerade dich ausgesucht?

Vielen Dank auch. Philip Morris ist auf mich aufmerksam geworden, weil ich als Journalist und Fernsehfilmer seit Jahren in den Bereichen Zukunftstechnologie, Forschung und Lifestyle arbeite.

Wie sieht die Zukunft der Zigarette aus?

Wahrscheinlich rund und länglich. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich damit noch nie beschäftigt.

Aber du machst Werbung für Zigaretten.

Philip Morris geht es nicht um die Verkaufsförderung, sondern darum, daß sich ein Image von Leuten, die an bestimmten Ideen und Projekten arbeiten, mit der Zigarettenmarke verbindet.

Welches Image ist das?

Wenn du meinen Bereich Zukunftstechnologien und Zukunftsmedien nimmst, ist das Image relativ jung, dynamisch, innovativ.

Leute, die sich für modern halten, werden diese Marke kaufen?

Ich weiß nicht, ob sie diese Zigaretten kaufen werden, aber sie werden mit Sicherheit diese Marke mit diesem Image identifizieren.

Und du versuchst, im Windschatten des Zigaretteninteresses deine Interessen, die anders liegen, unterzubringen und zu verkaufen?

Im Windschatten würde ich nicht sagen. Ich sehe das so: Ich habe ein bestimmtes Programm. Ich habe vor, Zukunftskonzepte zu kommunizieren. Ich selbst bin nicht der große Innovator, sondern ein Kommunikator, ein Vermittler zwischen den Experten und der Masse. Diese Arbeit kann ich natürlich mit den Möglichkeiten, die mir ein großer Konzern bietet, besser machen. Das geht weit über das hinaus, was ich sonst als Einzelkämpfer mit meinem kleinen Büro in Frankfurt leisten könnte.

Siehst du dich als Marlboro Man für die Intellektuellen?

Nein, überhaupt nicht. Der Marlboro Man ist Model und Schauspieler von Beruf. Er wird angeheuert, um einen bestimmten Typen zu verkörpern. Ich dagegen arbeite tatsächlich in dem Bereich, den ich darstelle. Ich bin ein echter Mensch!

Noch eine Ähnlichkeit zu Marlboro: Marlboro nimmt die Leute auf eine Tour in die Wüste mit, und du nimmst deine Leute mit zu einem Future-Seminar nach New York.

Wir machen in New York das Abenteuer im Kopf. Wenn ich mit dem Motorrad durch die Wüste fahre, ist das nur noch die Erinnerung, ein ehemaliges Abenteuer. Meine Abenteuer sind real, und sie finden tatsächlich im Kopf statt. Der Ausgang des Projektes Zukunft ist ungewiß, da sind noch Abenteuer möglich.

Was verdienst du bei Philip Morris?

Nicht so viel, wie man denkt, aber ausreichend, daß ich mich dabei wohl fühlen kann. Das will ich aber nicht in Zahlen sagen. Auf jeden Fall weniger, als ein Minister in Bonn verdient.

Was bringt uns die Zukunft?

Wenn ich das wüßte, würde ich Orakel werden. Aber ich denke, daß die Kommunikation zwischen Maschinen immer wichtiger werden wird. Heute ist es so: Wenn du mich anrufst, sprichst du mit mir über alle möglichen Dinge, die gar nicht wesentlich sind. Zum Beispiel, wann wir uns treffen, wo wir uns treffen. Lauter organisatorische Dinge, die eigentlich weder dich noch mich interessieren, die wir aber erledigen müssen, um zusammenzukommen. Ich denke, daß in der Zukunft mehr und mehr Maschinen miteinander kommunizieren, um so etwas zu erledigen. Ich kann mir vorstellen, daß wir irgendwann intelligente Anrufbeantworter haben werden, der deinen Terminkalender kennt, und der steckt mit anderen Computern die Termine ab. Und wenn ich nach Hause komme, sage ich nur: Diesen von den drei Terminen will ich haben. Der Computer regelt dann den Rest. Das ist ein Punkt, an den wir schon nahe herangekommen sind.

Wenn man mit solchen Maschinen arbeitet, wird über kurz oder lang eine neue Form von gesellschaftlicher Unterteilung entstehen. Die neue Elite werden die Leute sein, die wissen, wie man mit solchen Geräten umgeht und worauf diese Technik beruht. Ich sehe meine Aufgabe darin, die Möglichkeit des Zugangs zu dieser Elite per Kommunikation zu vergrößern.

Würdest du gerne ein Gerät haben, das deinen Terminplan erledigt?

Ja.

Weil du einen solchen Wust von Terminen, Verpflichtungen und so weiter hast?

Für mich ist Technik nur ein Hilfsmittel. Wenn sie mich von Arbeiten entlastet, die ich unproduktiv, unkreativ und langweilig finde, dann ist sie gut.

Ich denke, man wird sich über Computer, die für einen Termine machen, mehr als einmal ärgern, weil sie die falschen Termine vereinbaren.

Deswegen kommt es darauf an, zu wissen, was die Geräte eigentlich tun und wie sie es tun. Nur dann kann man sagen: So mußt du es machen. Wenn man dem ausgeliefert ist, wenn man nicht weiß, wie Informationen zustande kommen, dann gerätst du eben in die Rolle des neuen Proletariats, was es mit dieser Technik geben wird, wo du gezwungen sein wirst, alles das zu glauben, was sie dir entgegenballert.

Werden die neuen Computer unser Leben angenehmer machen? Ich merke an meiner täglichen Arbeit, daß ich weniger Zeit mit unnützen Dingen verbringe.

Warum ist der Minister for Love ein Computer?

Ein wesentlicher Grund: Wenn du einen Mann zum Minister for Love machst, fühlen sich potentiell die Frauen angesprochen. Machst du eine Frau dazu, ist es umgekehrt. Wenn du eine virtuelle, suprageschlechtliche Figur hast, kann sich natürlich jeder darunter vorstellen, was er will.

Liebe und Computer – größer kann der Gegensatz nicht sein.

In den USA gibt es seit einigen Jahren eine Diskussion um virtual sex. Der Computer wird als sexuelles Medium betrachtet.

Sex im Kopf. Hirnwichserei?

Wo findet Sex sonst statt? Das größte und wichtigste Sexualorgan des Menschen ist das Gehirn.

Findet bei dir Sex in erster Linie im Kopf statt?

Natürlich. Bei jedem Menschen. Wenn du dir nichts dabei denkst, funktioniert nichts.

Der virtuelle Sex entsteht aber nur im Kopf?

Körper und Geist gehören zusammen. Der Sex im Computer findet im Kopf statt. Aber er wird körperlich nicht vollzogen, man könnte auch sagen: nicht exekutiert.

Kann Zärtlichkeit mit einem Computer stattfinden?

Ich sehe einen Computer nicht als das Objekt der Zärtlichkeit, aber es kann ein Medium für Zärtlichkeit sein. Ich kann doch Liebesbriefe über den Computer schreiben und kann Seelenschmalz darin ergießen, und es wird eine traumhafte Veranstaltung werden. Der Computer dient mir einfach als Medium, diese Zärtlichkeiten zu kommunizieren.

Wie habe ich denn mit einem Computer Liebe? Bin ich dann in dem vorgestellten Raum, dem Cyberspace?

Ob man mit einem Computer Liebe hat, ob man den Computer als Sexual- oder Liebesobjekt ansieht, das würde ich bezweifeln. Es ist ein Medium, durch das ich das erfahren kann. Ich habe zum Beispiel im internationalen Computernetzwerk, wo Computerfreaks aus aller Welt sich miteinander unterhalten, durchaus sehr angenehme, hübsche Flirts erlebt. Das ist eine wunderbare Möglichkeit. Das ist ja das Interessante: In einer virtuellen Welt kannst du dir ja auch eine Rolle vollständig frei wählen. Du sagst zum Beispiel: Ich heiße jetzt Rainer Langhans oder Kaptain Kirk, gibst dir eine vollständig neue Identität, lernst auch neue Menschen im Computer kennen. Du kannst dir eine Liebesaffäre, einen Flirt kreieren, so wie du ihn dir nur in deiner Phantasie vorstellen kannst. Du kannst dich da vollständig austoben.

Der Autor spaltet in einem Stadtmagazin der Welt- und Messestadt Hannover Schädel.