Rexrodt auf Distanz zu neuem Siemens-Reaktor

■ FDP-Wirtschaftsminister will mehr Sicherheit, während die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Sicherheitsphilosophie von Siemens bezieht

Berlin (taz) – Bundeswirtschaftsminister Günther Rexrodt (FDP) rückt von der Option für neue Atomkraftwerke noch in diesem Jahrzehnt ab. Die Koalitionäre der CDU/CSU-Bundestagsfraktion halten dagegen weiterhin Siemens die Treue. Rexrodt verkündete am Donnerstag in einem Interview des Deutschlandfunks, daß jeder neue Atommeiler, um genehmigungsfähig zu sein, im Falle eines GAU „die Schäden auf die Anlage selbst“ begrenzen müsse. Der von Siemens und der französischen Framatome als Gemeinschaftsprojekt geplante neue Druckwasserreaktor ist dazu nicht in der Lage.

Der neue Meiler ist entgegen ersten Ankündigungen kein Wunderding, sondern nur „eine evolutionäre Weiterentwicklung“ der in Deutschland betriebenen Atomkraftwerke. Siemens sagt über die Sicherheit des geplanten Reaktors: „Die Auswirkungen (eines GAU, taz) sollen so auf die Anlage begrenzt werden, daß keine Notwendigkeit für externe Katastrophenschutzmaßnahmen wie z.B. Evakuierungen oder Umsiedlungen der Bevölkerung besteht.“ Es darf also Radioaktivität freiwerden, solange die Menschen nicht unmittelbar flüchten müssen.

Der Chef von Siemens/KWU, Adolf Hüttl, hatte seit Beginn der Planungen für das Gemeinschaftswerk im Jahr 1989 betont, daß die Sicherheitsanforderungen für den Zukunftsreaktor nicht zu hoch geschraubt werden dürften. Die Vorschriften in Deutschland und Frankreich müßten dafür harmonisiert werden, so Hüttl 1992 – aber „nicht als Summe aller nationalen Maximalforderungen!“ Nur dann sei es möglich, den deutsch-französischen Meiler überhaupt bis zur Baureife zu entwickeln. Kritische Reaktorexperten bezweifeln, daß das neue Kind aus dem Hause Siemens überhaupt sicherer ist als die letzten in der Bundesrepublik in Betrieb gegangenen Atommeiler. „Es wird kein kernschmelzfester Reaktor werden“, so Lothar Hahn vom Öko-Institut. Beim Gau bliebe also auch künftig nur die Flucht.

Hinter den Kulissen des FDP- Wirtschaftsministeriums haben Beamte den schleichenden Abschied von dem Siemens-Reaktorprojekt sondiert. Ihre Überlegung: In den kommenden zehn Jahren werde sowieso kein neuer Atomreaktor gebraucht, das bestätigt sogar das RWE. Wenn Siemens in dieser Zeit trotzdem einen neuen Versuchsreaktor bauen wolle, sei das eine Privatsache der Wirtschaft. Bei der Frage der Sicherheitsstandards gilt jetzt Rexrodts Formulierung. Es dürfe keine Radioaktivität an die Umwelt gelangen – gar keine.

In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist man da bis jetzt noch ganz anderer Meinung. Ihre Vorstellung von der Sicherheit künftiger Atomreaktoren wird eng mit Siemens abgestimmt. „Wir haben die aufgefordert, uns zu sagen, wie weit wir gehen können“, so der energiepolitische Sprecher der Union, Heinrich Seesing. Seesing hat zusammen mit dem Münchner CSU-Abgeordneten Kurt Faltlhauser gerade einen Entwurf für neue energiepolitische Leitlinien der Union verfaßt. Dort heißt es: Neue Atommeiler müßten so sicher sein, „daß auch bei einem unterstellten auslegungsüberschreitenden Ereignis (GAU, taz) keine Auswirkungen in der Umgebung auftreten, die Katastrophenschutzmaßnahmen erfordern würden“. Originalton Siemens.