: Im Gaspedal knirscht Theorie
■ Premiere in der Kulturwerkstatt Westend für die Autorevue „Vollgas“
Die Sirene heult, es hat wieder gekracht: Daimler-Benzer Peter hat aus seinem Jahreswagen rallye-mäßig Schrott gemacht. Der dabei zweckdienliche Straßenbaum dient ihm fürderhin als Baum der Erkenntnis: Bleibt der Kerl einfach im Laubwerk hocken und gibt Wissenswertes aus Traktaten der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald zum Besten.
Wie die geneigte Leserin ohne Probleme nachvollziehen kann, bleibt die Existenzform „Baum- Mensch“ über 50 Jahre nach dem ersten Tarzan-Film nicht unbestritten: Versicherungsvertreter versuchen sich im Verkauf von Policen gegen Borkenkäfer, der dumpfe Schutzmann von nebenan versteht garnix und die Freundin versucht es nach biblischer Vorlage mit dem Apfelgriebsch. Als all das nichts fruchtet und sich das neugeborene Eichhörnchen Peterle nicht einmal durch grüne Gesinnungs-Guerillos und Reality- Reporter von seinem Ast treiben lässt, greift Kumpel Bernd als Vollstrecker des allgemeinen Volksempfindens schließlich zur Motorsäge und bringt den Aus- bzw. Aufsteiger mit einem Kettensäger-Massaker auf den Boden der Tatsachen zurück.
Mit dieser vertrackt-komischen Konstruktion des anonym bleibenden AutorInnen-Kollektivs aus dem Dunstkreis vn DGB und Kulturwerkstatt könnte und kann Regisseurin Uscha Mattner ihre umfangreiche Laienspielschar in bester Speeldeel-Manier von Gag zu Gag treiben.
Weh aber dann, wenn die Inszenierung sich verbissen strebend um höhere Weihen bemüht: Da werden dann auf der holprigen Chaussee von Bitterfeld zum Schiffbauerdamm bedeutungsschwangere Weigeleien losgelassen. Die muntere Schlichtheit der autokritischen Revue bricht unter dieser Last zusammen wie ein Kartenhaus, und immer müssen die schwarzen ChoristInnen dazu die starre Maske allseitiger Betroffenheit aufsetzen.
Ansonsten der Chor ein Lichtblick: Hartmut Emig setzt voll und ganz auf die Überzeugungskraft des harmonisch-arrangierten Schlagerlieds mit gefälligen Brüchen: Der Schorsche mit dem Automobil von Hamburg nach Kiel, Freddy Quinns schön gewesene Zeit und dann soll noch jemand einen „Mörsides Bänz baien“. Dies im Ohr macht immer Spaß.
Wenn aber der Peter auffem Baum mit der sanften Anmut des Workshop-TaiChi in absurder Fortsetzung einschlägiger Bemühungen der Eurythmie seine Erkenntnisprozesse an einem vogelpiepsenden Morgen untermalt, dann hätte ihm die Regie das verbieten müssen — wahrscheinlich war's gar angeordnet. Und als die sonst so propper aufspielende Freundin Marion mit ihm dann zwischen den Ästen Mann und Frau spielt, kommt doch wahrhaftig wie einst auf der Engtanzfete geschlagende drei Minuten lang „Je t'aime“ aus dem Lautsprecher. Achgott!
Mit ein bißchen weniger Papiergeraschel in den Dialogen, etwas weniger Theatertheorie im Kopp und Verzicht auf die genannten Mätzchen kann's noch was werden: Die Lust bei den Akteuren, der schier endlose Kostümfundus und das Original Daimler-Wrack im Bühnenbild ist doch schon die halbe Miete! UrDrü
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