Ein Milliardär flieht in die Heimat

■ In Nordzypern wird man über die Rückkehr des Bankrotteurs Asil Nadir nicht froh

Berlin/Nikosia (taz) – „Nadir ist ein großer Mann.“ Der Alte im Kaffeehaus von Lapta wird es wissen. Ein großer Sohn ist nach Nordzypern zurückgekehrt, und viele türkische Zyprioten heißen ihn überschwenglich willkommen. Der Parlamentsabgeordnete der Regierungspartei, Mustafa Erbalan, begrüßte ihn mit Küssen auf dem Flughafen, in seinem Heimatdorf wurde ihm zu Ehren ein Hammel geschlachtet: „Wir stehen hinter dir!“ riefen seine Anhänger.

Asil Nadir, weltbekannter, aber bankrotter Milliardär, ist abgehauen. Der Selfmademan soll über 400 Millionen Pfund Sterling (rund eine Milliarde Mark) veruntreut haben. In Großbritannien, wo er seine Firmenzentrale hatte, sollte ihm im September wegen Betrugs und Unterschlagung der Prozeß gemacht werden. Daraus wird jetzt vorläufig nichts. In einer wohlvorbereiteten Flucht – mit dem Schiff nach Frankreich, von dort per Privatjet über Istanbul nach Zypern – gelang ihm vor zwei Wochen die Flucht in die alte Heimat. „Man brauchte kein Gehirn, um zu sehen, daß er abhauen würde – wer geht schon gern ins Gefängnis?“ meint ein zyperntürkischer Ladenbesitzer in London. Doch Scotland Yards Gehirn war offenbar in Tiefschlaf verfallen. Jetzt ist der Katzenjammer groß.

Denn Nadir – einst Herr über ein undurchsichtiges Gewirr von 75 Firmen in 19 Ländern – kann in seiner heimatlichen Villa in Lapta vor der Auslieferung sicher sein. Nordzypern, seit 1974 von türkischen Truppen besetzt, ist ein Staat, der gar nicht existiert. Weder die UNO noch irgendein Land– mit Ausnahme der Türkei – haben die Türkische Republik Nordzypern diplomatisch anerkannt. Nichtsdestotrotz existieren dort eine „Regierung“ und ein „Staatspräsident“; letzterer heißt Rauf Denktasch und ist ein alter Freund von Nadir. „Die Briten verlangen von mir seine Auslieferung“, aber wie sollte ich, wenn ich nicht gerade Kidnapper organisiere?“ meint Denktasch ganz unschuldig. Derweil spricht Asil Nadir von der „Hölle in England“, der er entkommen sei.

Für kriminelle Unternehmer ist der besetzte Teil Zyperns wie geschaffen. Weil als Staat nicht anerkannt, existieren auch keinerlei Auslieferungsabkommen mit anderen Ländern. Für Nadir kommt hinzu, daß er dort noch über beträchtliche Vermögen verfügt, darunter fünf Hotels, neun Betriebe, eine Bank und die größte Tageszeitung. Und so verwundert auch die anfängliche Begeisterung unter vielen türkischen Zyprioten über Nadirs Heimkehr nicht allzu sehr. Der Ex-Milliardär hat nicht nur viel Geld investiert, sondern damit auch für viele Abhängigkeiten unter den etwa 160.000 Bewohnern gesorgt. „Nadir-Land“ nennen manche oppositionelle Zyperntürken ihr Land. Doch sich gegen Nadir und Denktasch zu stellen, das wagen nur wenige.

Doch trotz der oberflächlich so idyllischen Verhältnisse für Nadir und der weniger erfreulichen Zustände für seine Orangenpflücker kommt der Bankrotteur auch daheim nicht zur Ruhe. Großbritannien droht der nicht existierenden Pseudorepublik mit Sanktionen und setzt die Türkei unter Druck. Nordzyperns Interessen könnten stark geschädigt werden, wenn es versäume, Nadir auszuliefern, hieß es in dieser Woche aus dem Londoner Außenministerium. Großbritannien könne ihn doch auf Nordzypern den Prozeß machen, lautet der letzte, ausgesprochen originelle Vorschlag seines Fürsprechers Denktasch.

Nadir droht, kaum in der Heimat, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Seine Privatbank auf Zypern kündigte an, ihre Pforten vorläufig zu schließen – erste Anzeichen für finanzielle Schwierigkeiten. Die Handelskammer droht mit dem Rauswurf ihres prominentesten Mitglieds. Geschäftsleute ergehen sich in dunklen Andeutungen über die Probleme, die sie mit Nadirs Anwesenheit daheim verbinden. Ohne Orangenexporte wird Asil Nadir zur Belastung. Mit dem Import bekannter Krimineller, das dürfte auch „Präsident“ Denktasch klar sein, findet seine Bananenrepublik Nordzypern mit Sicherheit noch weniger Anerkennung, als ihr bisher schon zuteil geworden ist. Das hat wohl auch Asil Nadir eingesehen: Er versprach seine baldige Abreise in die Türkei. Klaus Hillenbrand