: Gute Laune, schlechte Laune
Wie die Stimmungslage die Leistungsfähigkeit des Gehirns beeinflußt ■ Von Susanne Billig
Schlechte Laune strengt an. „Nichts will einem gelingen, auch die geringsten Anforderungen liegen wie ein Berg vor einem, man nimmt nur die allernötigsten Informationen auf, läuft wie mit Scheuklappen durch die Welt und möchte sich am liebsten verkriechen.“ So beschreiben PsychologInnen von der Universität Göttingen das Mißmuts-Syndrom. Das Team um Professor Dr. Gerd Lüer hat sich daran gemacht, die „Laune“ systematisch zu erforschen. Hat die depressive Einflüsterung recht? Bekommen wir wirklich nichts hin an dumpfen Tagen? Oder laufen die kognitiven Prozesse im Gehirn, die für das Lernen und die Leistungsfähigkeit verantwortlich sind, ganz unbeeindruckt von der subjektiven Stimmungslage ab?
Die Göttinger ForscherInnen forderten ihre Probanden auf, Buchstabenfolgen in kürzester Zeit als Wörter zu identifizieren. Dem Verfahren liegt die lernpsychologische Theorie des „Konzeptlernens“ zugrunde. Danach speichert das Gehirn Wissen nicht in Form isolierter und bloß akkumulierter Portionen ab, sondern der Lernende verleibt sich die neuen Eindrücke als „discoverer“, als „Entdecker“, wie die beiden amerikanischen Psychologen Jerome Bruner und David Ausubel es nannten, seinen eigenen, inneren Ordnungsprinzipien ein. Die geistigen „Konzepte“ bilden gewissermaßen die Knoten innerhalb eines Netzwerkes, in welchem Informationen rasch hin- und herverschoben werden. Diese Anschauung geht mit neueren hirnphysiologischen Erkenntnissen konform. „Generell“, so sagen die Göttinger Psychologen, „erfolgt die Entscheidung, ob eine Buchstabenfolge, zum Beispiel ,Stuhl‘, ein Wort darstellt oder nicht, schneller, wenn zuvor ein eng verwandtes Wort, zum Beispiel ,Tisch‘, angeboten wird, als wenn vorher nichts oder ein weniger eng verbundenes Wort, etwa ,Wiese‘ erscheint.“
Limitiert wird die gegenseitige Anregung der Konzeptknoten allerdings durch die Verarbeitungskapazität des Gehirns. Lüer und seine MitarbeiterInnen konnten nun feststellen, daß positiv gestimmte Probanden über eine regere Hirntätigkeit verfügen. Nach der Voraktivierung verkürzt sich bei ihnen die Reaktionszeit auf ein verwandtes, neues Wort deutlich stärker – ein objektiver Hinweis darauf, daß negative Stimmung dem Menschen in der Tat Aktivation und Verarbeitungskapazität abzieht. Eine bewußte Steuerung der Reaktion ist nämlich nicht möglich – es geht dabei um 200 Millisekunden plus oder minus.
Investiert wird die gesparte Kraft in die Bewältigung der bedrängenden Emotionen. „Dieses stimmungsbezogene Ziel gewinnt häufig Vorrang vor anderen, sachbezogenen Zielen,“ erklären Lüer und MitarbeiterInnen. Folgende Strategien fanden die Forscher gehäuft vor: „Lesen in Büchern, die persönliche Probleme behandeln, Entspannungsübungen, Essen von Süßigkeiten als Ersatzbefriedigung.“ An der im Experiment für sie bereitgehaltenen Aufgabe – der „Organisation eines Gesundheitsmarktes“ – mochten die schlecht Gestimmten so recht keinen Gefallen finden.
Wem die Zwänge des modernen Lebens keinen Raum lassen, sich mit Schundroman und Schokolade depressiv ins Bett zu legen, versucht, dem drohenden Leistungsabfall Einhalt zu gebieten. Durch einen Wechsel zu einer „vorsichtigen, fehlervermeidenden Vorgehensweise“, erläutern die Psychologen, gelinge es Deprimierten, die emotionalen Belastungen auf einer niedrigen Anforderungsstufe zu kompensieren. Wer guter Dinge ist, handelt dagegen schneller, aber auch unbedachter und fehlerreicher. Unter dem Strich kommen beide so auf dieselbe Leistung. Steigen die Anforderungen, gerät der Rückgriff aufs Tastende und auf bewährte Verhaltensmuster jedoch ins Hintertreffen.
WissenschaftlerInnen von der Universität Mannheim prüften mit einem „Telefonzellen-Experiment“, wie Menschen in guter und schlechter Stimmung auf Argumente reagieren. Für ihre Versuchsreihe plazierte die PsychologInnen-Gruppe ein Markstück in einer öffentlichen Fernsprechanlage. Wer es fand, freute sich – und war damit für das folgende Experiment „induziert“. Eine Psychologin trat an die Telefonzellen-Benutzer heran und bat darum, vorgelassen zu werden. In einer Variante des Versuchsablaufes rechtfertigte sie ihr Ansinnen mit einem triftigen, persönlichen Grund, im anderen Fall versagte sie die Begründung. Als Kontrollgruppe dienten Telefonierer ohne „Beglückung“. Von diesen leer Ausgegangenen ließen sich 92 Prozent durch ein triftiges Vordrängeln sofort überzeugen. Gab es keine Begründung, so gaben sie der Bitte nur zu 39 Prozent statt. Die frohen Finder hingegen interessierten sich viel weniger für den Unterschied: 75 Prozent fügten sich der begründeten, 50 Prozent der unbegründeten Bitte.
Weitere Experimente bestätigten: Menschen in neutraler oder schlechter Gemütsverfassung reflektieren spontan über den Inhalt und die Logik einer Botschaft, während gut Gelaunte sich diese Mühe ersparen. Sie ziehen im Rahmen ihres avisierten Meinungsumschwungs statt dessen lieber solche Aspekte wie die physische Attraktivität des Botschaftsgebers in Betracht. Wer keinen Höhenpiek hat, muß hingegen schon mit schlagenden Argumenten überzeugt werden.
Redner und Rhetoriker ohne argumentativen Tiefgang, wie es sie ja geben soll, wären also gut damit beraten, ihr Publikum vorerst in prima Stimmung zu versetzen. Die Sache hat allerdings einen Haken: Die Meinungen, die sich in Zeiten der Euphorie so leicht einflüstern lassen, sind, auch das haben die Psychologen aus Mannheim festgestellt, meist nur von kurzer Dauer.
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