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„Condor“ mischt Schalck-Ausschuß auf

Ein mysteriöser Zeuge sorgt mit Aussagen über die gesammelten Top-Skandale dieses Jahrzehnts für Konfusion / Traf DDR-Chefspion Wolf etwa Barschel vor dessen Badewannentod?  ■ Von Thomas Scheuer

„Wie können die uns so einen Spinner als Zeugen anschleppen?“ mault ein Mitarbeiter des bundestäglichen Schalck-Untersuchungsausschusses. „Wenn das stimmt, was der Zeuge erzählt, stehen wir vor dem Skandal der Republik“, gibt immerhin der SPD-Obmann im Ausschuß, Dr. Andreas von Bülow im Flurgespräch zu bedenken. Ja, wenn das Wörtchen wenn nicht wär.

Eine Wahrheitsquote von zwanzig Prozent dessen, was der ominöse Zeuge Thomas M. da am vergangenen Donnerstag bis spät in den Abend hinein dem Ausschuß in geheimer Sitzung servierte, würde schon ausreichen, um James Bond vor Kollegenneid erblassen und in Bonn gehörig die Wände wackeln zu lassen.

Mitglied einer obergeheimen „Special Operations-Group“ westlicher Geheimdienste sei er nach seiner Lehrzeit bei der niedersächsischen Polizei und beim Bundesnachrichtendienst gewesen. Eingeschleust in internationale Geldwäscherkreise, habe er unter dem Decknamen „Condor“ weltweit Waffenhändlerringe, Autoschiebergangs, Mafiasippen und Killersyndikate infiltriert. Auch auf das Untergrundimperium „Kommerzielle Koordinierung“ des gewesenen DDR-Devisenagenten Alexander Schalck-Golodkowski, dessen Umtriebe der Ausschuß zu erhellen hat, war er angesetzt. Daher bot er sich nun über zwei Abgeordnete dem Ausschuß als Zeuge an. Mehrmals will er „Big Alex“ persönlich in Ostberlin getroffen haben. Seine Truppe habe „dem die ganze Bude verwanzt“.

Auch DDR-Chefspion Markus Wolf kenne er aus jenen Zeiten. Im Spätsommer 1986 will er Wolf observiert haben, als sich dieser unter dem Decknamen „Roloff“ mit Uwe Barschel im Genfer Hotel „Richmond“ traf. (Im benachbarten „Beau Rivage“ wurde Barschel ein Jahr später tot in einer Badewanne gefunden; laut seinem Notizbuch hoffte der gestrauchelte CDU-Politiker, in Genf einen bis heute nicht identifizierten Informanten namens Roloff zu treffen.) Während des Gespräches sei Wolf aufgestanden und habe in einem gegenüberliegenden Zeitungskiosk einem hohen Bonner Beamten Bares in Bündeln übergeben – Herrn Jung aus dem Bonner Kanzleramt. Hinter dem verberge sich nämlich der lang gesuchte „Maulwurf“ der Stasi in Kohls Regierungszentrale.

Abgesehen von dem Detail, daß es neben oder gegenüber den besagten Hotels in Genf zwar einen kleinen Park mit einem für Agententreffs höchst geeigneten lauschigen chinesischen Pavillon, aber weit und breit keinen Zeitungskiosk gibt – zu unglaublich klingen manchen Abgeordneten die Geschichten des Thomas M. In den Reihen der Regierungsbeobachter lösen sie indes erhöhte Erregung aus. Hektisch wird hin und her telefoniert. Gegen halb sieben abends kommt – kleine Sensation – der im Kanzleramt für die Geheimdienste zuständige Staatsminister Bernd Schmidbauer höchstpersönlich samt seinem Chefbeamten in den Ausschuß gedüst und erklärt: An den Märchen über Jungs Genf-Trip sei nichts dran, man habe das alles überprüft.

Überprüft haben auch das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter Bayern und Niedersachsen einige Angaben des Thomas M. Allerdings nicht ausreichend, wie SPD-Obmann von Bülow kritisiert. Das niedersächsische LKA meldete am 22. Dezember 1992 in einem Bericht mit der Tagebuchnummer 3-35-147/92 „Zweifel an einem derart umfassenden Wissen über eine Vielzahl von grundverschiedenen Komplexen, die teilweise in keinerlei Verbindung zueinander stehen“, an. Manche Angaben weckten bei den Kripobeamten den „Verdacht, daß es sich hierbei um das Wissen eines intensiven Spiegel– oder stern-Lesers handelt.“ Ein geheimes Erddepot in der Lüneburger Heide, laut Thomas M. gespeist mit Waffen aus dem Hause Schalck-Golodkowski, konnten die Fahnder bislang nicht lokalisieren. Ob Thomas M. jemals in Niedersachsen der Polizei zu Diensten war, läßt der Report allerdings offen. Zeifel an dem Zeugen meldet auch das Bundeskriminalamt in zwei Schreiben an das Bonner Innenministerium vom 16. März und 26. April dieses Jahres an: Im Februar 1992 habe der Zeuge, der bereits früher wegen „Erpressung, Freiheitsberaubung und unberechtigter Titelführung in Erscheinung getreten“ sei, dem BKA die Hintergründe des Mordes an dem Schauspieler Sedlmayr offeriert. Ohne Ergebnis. Zu vielen der angesprochenen Komplexe, so die Logik des BKA, könne Thomas M. schon allein deshalb kein Insiderwissen besitzen, weil er seit Anfang 1987 bis heute fast ununterbrochen im Gefängnis sitzt.

Doch auch diesen Widerspruch löst der Zeuge flott auf: Im Knast habe zeitweise gar nicht er, sondern ein geheimdienstliches Double gesessen, alldieweil er unter falscher Legende seiner Mission fröhnte. Beweise und Dokumente – Knackpunkt der ganzen Story – sollen in einem geheimen Erddepot in Schweden verbuddelt sein. Dorthin will der Zeuge notfalls unter Polizeischutz ausgewählte Ausschußmitglieder lotsen. Letztere geben sich hochgradig irritiert – wollen aber manche Angaben des Zeugen vorsorglich näher prüfen lassen.

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