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„Das waren Spielereien, nichts weiter“

Am 23. November 92 kamen nach einem Brandanschlag drei Türkinnen in Moelln ums Leben / Gestern begann der Prozeß / Angeklagte schwörten rechtsextremen Ambitionen ab  ■ Aus Schleswig Uli Exner

Die haben gar keine Kahlköpfe. Und das konnte jeder sehen, gestern in Schleswig. Klar, so sind Michael Peters und Lars Christiansen auch mal rumgelaufen. Ging's doch nicht anders – wegen der anderen in der Möllner Skinheadtruppe. Und sie sind auch gar keine Neonazis, nicht mal Rechtsradikale. Das sollte jeder hören im großen Sitzungssaal des Oberlandesgerichts. Ausländerfeindliche Parolen? „Ja“, aber: „Das waren Spielereien, da steckte nichts weiter drin“, erklärt Christiansen.

Spielereien, die im November vergangenen Jahres zum Tod einer türkischen Frau und zweier Mädchen führten, als in Mölln kurz hintereinander zwei Häuser in Brand gesteckt wurden. Seit gestern wird den beiden jungen Männern der Prozeß gemacht, angeklagt wegen des „grausamsten Verbrechens“, das man sich vorstellen kann, wie es Nebenkläger Christian Ströbele zu Prozeßbeginn ausdrückte.

Bedächtig, langsam, fast zu verständnisvoll vernimmt der Vorsitzende Richter Hermann Ehrich (59) die Angeklagten, führt sie behutsam durch ihr Leben. Wie war das Verhältnis zu den Eltern: „So ganz konfliktfrei war das doch nicht?“ Oder die schulischen Leistungen: „Wo hat's denn gehapert?“ Oder die Rolle des Alkohols – „Ich will Sie ja nicht zum Trinker stempeln, aber...“.

Peters, der am Morgen nichts zur Person aussagen wollte, nimmt das Angebot nach einer kurzen Pause an. Berichtet von seiner Säuferkarriere: „Zu zweit ‘ne Palette von morgens, bis sie leer war.“ Stockend und mit fisteliger Stimme spricht der 25jährige. Nichts ist geblieben von dem knalligen „Heil Hitler“, mit dem er die beiden Brandstiftungen per Telefon bei der Polizei gemeldet hatte. Seine NPD-Mitgliedschaft sei nur von kurzer Dauer gewesen: „Ich hab' da nicht zugehört, das war mir viel zu langweilig.“

Mehr wollen Richter Ehrich und die beiden Vertreter der Bundesanwaltschaft an diesem Tag von Peters politischem Hintergrund nicht hören. Nur Ströbele setzt noch einmal nach. Wie das denn gewesen sei 1989, als er das Kind eines Ausländers mit dem Kopf gegen einen Stein geschlagen habe? „Dazu möchte ich nichts sagen.“ Peters hat die Mordbrennerei in Mölln bereits gestanden.

Das hatte Lars Christiansen zunächst auch. Er widerrief sein Geständnis bald darauf. Der 19jährige versucht in Schleswig, den Eindruck des spät Geläuterten zu erwecken. Zu Anfang seiner Skinhead-Karriere, sei er zwar äußerst rechts gewesen, „wie's rechter nicht mehr geht.“ Dann aber seien die Zweifel gekommen. Und, fast redselig: „Das laß' ich mir hier nicht anhängen, mich als Neonazi und Rechtsradikalen darzustellen.“ Skinheadgruppe, Bomberjacke, Springerstiefel mit weißen Schnürbändern als Zeichen der Ausländerfeindlichkeit, das seien alles nur Provokationen gewesen, gegen die Eltern, gegen die Gesellschaft. Ein Junge aus gutem Hause, ein bißchen auf Abwegen, der versehentlich gestanden hat, zwei Brandstiftungen, drei Morde inklusive, begangen zu haben? Mit steinerner Miene verfolgt Nazim Arslan, Ehemann der ermordeten Bahide Arslan, Großvater der toten Ayse, dieses Schauspiel.

Der Prozeß, so hatte Ströbele am Morgen appeliert, müsse dazu beitragen, einen Teil der jüngsten deutschen Geschichte zu bewältigen. Ob das gelingt, darf nach dem gestrigen Tag durchaus infrage gestellt werden. Dafür spricht auch, daß die Bundesanwaltschaft einen Teil der Vorgeschichte, einen geplanten Brandanschlag in der Nähe Möllns, an dem sich Peters und Christiansen beteiligen wollten, nicht in die Anklageschrift aufgenommen hat. Der Prozeß wird am Dienstag nächster Woche fortgesetzt.

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