: Hallo, Herr Neandertaler
Eine Ausstellung über das Leben der Rentierjäger im ■ eiszeitlichen Hamburg
Der erste Hamburger war ein Neandertaler. Alter: 30 000 Jahre. Er ist die Attraktion der Ausstellung „Hamburg in der Eiszeit“ im Harburger Archäologischen Museum.
Auch wenn von dem „Stern am Museumshimmel“ nur der Schädel erhalten ist, bezeichnet Direktor Ralf Busch dieses „Originalstück eines frühen Menschen“ doch als „kostbaren Fund, der Aufschluß über die menschliche Entwicklung gibt“. Gleich daneben liegen in Vitrinen die Faustkeile, die ein solcher Homo sapiens neandertalensis benutzt hat. „Wegwerf-Werkzeuge“, wie der Prähistoriker Friedrich Laux erklärt, „die wurden in sieben Minuten hergestellt und nach Gebrauch liegengelassen.“ Daß es damals keine Umweltverschmutzung gegeben hat, ist nur den natürlichen Materialien, vorwiegend Stein, zu verdanken.
Das Hauptaugenmerk der abwechslungsreichen Ausstellung liegt aber auf den spätzeitlichen Rentierjägern. Sie lebten vor 18 000 bis 10 000 Jahren im heutigen Hamburger Staatsgebiet. Freilich gab es da noch keine City, sondern weite Tundra mit spärlichem Bewuchs. Zwergbirken kamen häufig vor. Rentierjäger waren nicht seßhaft. Sie folgten in einer Großfamilie den Herden, die der Jahreszeit entsprechend durch das Land zogen. So kehrten auch die Menschen Jahr für Jahr an die selben Orte zurück. Dabei stellten sie ihr Zelt nie zweimal an die gleiche Stelle. Denn für die Jagd benutzten sie Pfeile und Speere mit Steinspitzen, die sie vor ihrem Zelt fertigten. Steine wurden entsprechend behauen. Die abfallenden Splitter blieben liegen und hätten im nächsten Jahr den Schlaf empfindlich gestört.
„Wir bieten auf 220 Quadratmetern eine ganz andere Reise in die Vergangenheit“, sagt Direktor Ralf Busch. Die Stichworte: akustisch, ökologisch, bildlich. Das Lied „Ein Neandertaler“ des bekannten 50er- Jahre-Kabarettisten Günther Neumann wird eingespielt. Heute noch existierende Pflanzen von damals können in Trögen am Eingang bewundert werden. Große Schautafeln erläutern das Leben unserer großstädtischen Vorfahren. Ein Neandertaler ist in Gips lebensgroß nachgebildet, ein Zelt der Rentierjäger aus gegerbten Häuten macht die schon damals beengten Wohn-
1verhältnisse deutlich.
Billig ist die Ausstellung nicht. Kostenpunkt: 50 000 Mark. Ralf Busch sagt scherzhaft: „Eine Mark für jedes Jahr, das wir in die Vergangenheit zurückgehen.“ Die Rentierjäger wären wohl überrascht, daß sie heute soviel wert sind. Doch werden sie in ganz anderen Kategorien gedacht haben. „Sie waren Spezialisten, jeder hatte seine Aufgaben“, erläutert Friedrich Laux anhand der Steinwerkzeuge. Und: „Das Gehirn eines durchschnittlichen Menschen von damals war größer als unser heutiges.“ Torsten Schubert
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