: Polizei geht gegen Kali-Kumpel vor
Vier Festnahmen bei einer Demonstration von rund 400 thüringischen Kali-Arbeitern vor der Treuhandzentrale / Betriebsrat aus Bischofferode wirft Polizei Provokation vor ■ Von Severin Weiland
Berlin/Bischofferode. Bisher folgten die Demonstrationen ostdeutscher Arbeiter vor der Berliner Treuhandzentrale einem eingefahrenen Ritual: Fahnen, Flugblätter, Reden. Als Ventil für angestaute Wut wurden hin und wieder die ein- und ausgehenden Mitarbeiter der größten Abwicklungsgesellschaft der Welt mit Buhrufen bedacht. Abweichend von dieser Norm proletarischen Protestes herrschte in der Nacht zum Dienstag jedoch an der Grotewohlstraße ein Bild, das an Kreuzberger Verhältnisse erinnerte. Rund 400 Kalibergleute aus dem thüringischen Bischofferode waren nach Berlin gekommen, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und für die Übernahme ihres Betriebes durch einen westfälischen Unternehmer zu demonstrieren. Die Kundgebung endete jedoch mit einem massiven Polizeieinsatz, bei dem vier Demonstranten festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und Blutproben unterzogen wurden.
Begründung der Polizei, die neun verletzte Beamte zu beklagen hatte: Das Treuhandgebäude sei mit Eiern, Flaschen und Büchsen beworfen worden. Später hätten Demonstranten die in unmittelbarer Nähe befindliche Kreuzung Leipziger Straße/Otto-Grotewohl-Straße besetzt. Als schließlich Treuhandpräsidentin Birgit Breuel das Gebäude verließ, sei es zu Auseinandersetzungen zwischen Kundgebungsteilnehmern und der Polizei gekommen.
Kurz vor Mitternacht wurde schließlich die Kreuzung geräumt. Für den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden der Kali- Grube in Bischofferode, Gerd Jüttemann (41), war der Berliner Abend eine neue Erfahrung: „Wir haben schon viele Demonstrationen hinter uns, aber so ein Vorgehen haben wir noch nicht erlebt.“ Selbst in Kassel, wo seine Kollegen vor drei Wochen bei der Hauptaktionärsversammlung der westdeutschen Kali-Industrie „ein paar Eier“ geschmissen hätten, sei ihnen die Polizei mit Gelassenheit und Sympathie entgegengetreten. Die Berliner Polizei, so sagte er gestern der taz, habe die Randale „provoziert“. Bei dem Versuch, Eierwerfer aus der Menge zu holen, seien sogar Zivilpolizisten vorgegangen. Später hätten die Beamten in voller Montur auf die Arbeiter „sinnlos eingedroschen“, es sei sogar ein Räumpanzer in einer Nebenstraße gesichtet worden. Einer der Festgenommenen, ein 40jähriges Betriebsratsmitglied, trug nach Angaben Jüttemanns ein blaues Auge und Abschürfungen im Gesicht davon und mußte sich ärztlich behandeln lassen.
Gegen zwei Uhr morgens konnten die Busse aus Thüringen Berlin endlich verlassen – die vier Kali- Arbeiter waren wieder auf freiem Fuß.
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