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Ruf doch mal an Von Andrea Böhm

Es passiert gewöhnlich gegen sieben Uhr abends während der Mac Neil/Lehrer News Hour, der einzig erträglichen Nachrichtensendung im US-Fernsehen. Das Telefon klingelt, und am anderen Ende gurrt eine weibliche Stimme erst einen „schönen guten Abend“ und verspricht als nächstes wertvolle, zeit- und geldsparende Informationen. Es ist Tracy, die Dame von meiner Telefongesellschaft – und allein der Umstand, daß sie gurrt, läßt mich meinen Ärger über die Störung zur besten Fernsehzeit vergessen. Das hat etwas mit einer in Deutschland entwickelten Mangelerscheinung zu tun: Ich bin nie angegurrt worden von der Dame (oder dem Herrn) von der Bundespost bzw. der Telekom. Außerdem hat mir die Telefongesellschaft in Washington Fax und Telefon innerhalb von 24 Stunden angeschlossen – ein Ereignis, das in Deutschland einer Marienerscheinung gleichkäme.

Hier hingegen versichert mir Tracy im Namen des Unternehmens nicht nur ihre Wertschätzung meiner Kundschaft im allgemeinen, sondern auch meiner zahlreichen Auslandsgespräche im besonderen, um mich dann über neueste Discount-Raten zu informieren. Jeden Samstag im Juni darf ich zwei meiner Familienmitglieder oder Freunde in Deutschland für 39 Cent pro Minute anrufen.

Außerdem sei ich kommunikationstechnologisch auf dem Stand der Dampflokomotive. Zwar könne ich Telefonnummern speichern und Anrufer in die Warteschleife befördern. Aber den „Caller-Identification“-Service hätte ich noch nicht. Auf der Telefondigitalanzeige würde die Nummer desjenigen erscheinen, der mich gerade anruft. „Wäre das nicht wunderbar“, gurrt Tracy, „wenn Sie schon wissen, wer dran ist, bevor Sie abheben?“

Zugegeben, der Gedanke hat etwas Verlockendes. Ich habe aber doch abgelehnt und Tracy mitgeteilt, daß ich auf die Einführung eines marktfähigen Bildschirmtelefons warte. Ein Blick auf das Gesicht des Anrufers gibt mir Aufschluß über dessen Tagesform und Laune. Dann kann ich immer noch entscheiden, ob ich abhebe oder nicht.

Tracy steckte die Enttäuschung erstaunlich schnell weg. Am übernächsten Tag lag ein Gutschein über zehn Dollar für ein Ferngespräch im Briefkasten – und Post von der Konkurrenz. Neben den Marktgiganten AT&T, MCI und Sprint gibt es längst auch die politisch korrekte Telefongesellschaft „Working Assets Long Distance“, mit ins Leben gerufen von Ben Cohen – in der aufgeklärten Genußmittelszene vor allem bekannt, weil er für die Zielgruppe der Alt-Hippies und Jungökologen Eiskrem herstellt. Besonders populär ist seine kirschhaltige Reverenz an Grateful Dead unter dem Markennamen „Cherry Garcia“. Wer beim Eisessen der fortschreitenden Vernichtung des Regenwaldes gedenken will, der wählt „Rainforest Crunch“ und spendet damit ein paar Cents für den Schutz desselben. Der Clou an „Working Assets Long Distance“ ist Cohens „Politischer Partizipations-Service“: Jeden ersten Montag im Monat kann der aufgeklärte Bürger und Kunde umsonst Politiker anrufen, um seinen Ärger über Giftmüllexporte, Korruption und Diätenerhöhung im Kongreß loszuwerden. Das wäre was für die Telekom: Ruf doch mal an – kostenlos bei Kohl, Klose und Konsorten.

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